Schweinebande! Der Fleischreport eines Metzgermeisters

Gigantische Illusion

Wie der Sport hat auch unsere Agrar- und Nahrungsmittelindustrie ihre grusligen und/oder empörenden Seiten, die man als Konsument lieber gar nicht erst zur Kenntnis nimmt. Die deutschen Einbauküchen sind die teuersten und luxuriösesten Europas, aber in Sachen Lebensmittelpreise ist Geiz besonders geil, sind wir Niedrigpreiszone Nummer Eins. Ein Gasgrill für 700 Euro und keine zehn Gartenabende, aber das Fleisch dafür vom Discounter, das ist deutsche Normalität.
Wer bei den angeblich so faden Engländern in den Supermarkt geht, wird staunen über die Vielfalt und Qualität bei Gemüsen und Obst. Tatsächlich ist es so, dass die besten Erzeugnisse der spanischen Obst- und Gemüseanbauer eher nach Großbritannien als nach Deutschland gehen. Gewisse Güteklassen bekommen wir Heinis gar nicht erst zu sehen, weil es sowieso Perlen vor die Säue wäre.
Das bringt uns zum Fleisch, wo die Preise seit 40 Jahren nicht gestiegen, sondern eher sogar gefallen sind. Inflationsraten und normale Preissteigerungen inbegriffen. Wie kann das sein? Ein Kilo Roulade bei Karstadt kostete 1978 als »Sonderangebot« 14,99 DM, heute sind es sieben Euro. Ein Kilo Kotelett müsste – zieht man die Entwicklung sonstiger Verbraucherpreise heran – heute 35 Euro kosten, stattdessen sind es zwischen 2,99 und 3,99 Euro. 600 Gramm mariniertes Nackensteak bei Aldi für 1,99 Euro lösten vor kurzem immerhin Proteste und Debatten aus.
Aber ich hörte genügend Radiosendungen, in denen beruhigt wurde, dass die Qualität des Billigfleisches  ganz sicher in Ordnung sei. Für solche Reporter – aber längst nicht nur für die, sondern für jeden Verbraucher – müsste »Schweinebande. Der Fleischreport« von Franz Josef Voll zur Pflichtlektüre werden. Der gelernte Metzger und spätere Lebensmittelkontrolleur kennt die Branche aus allen Blickwinkeln.
Seine Abrechnung ist vernichtend. Bereits in seiner Lehre lernte er: „Es gibt kein schlechtes Fleisch, es gibt nur Fleisch, das verarbeitet werden muss.“ Zum Beispiel mariniert (sic), mit Gewürzen versetzt oder durch den Wolf gedreht und zu Wurst gemacht. Billige Fasern, künstliche Stabilisatoren, Emulgatoren oder minderwertiges »Separatorenfleisch« machen echtes Fleisch in der »Wurst des 21. Jahrhunderts« fast überflüssig – und die Industrie verdient Milliarden. Zitat: »Wir haben es geschafft, aus Schrott tatsächlich Gold zu machen, indem wir ein gigantisches Illusionstheater aufgezogen haben. Was wir produzieren und verkaufen, sind Erzeugnisse aus dem Labor, sind Imitate wie gefälschte Armani-Handtaschen oder nachgemachte Rolex-Uhren – sie haben mit Lebensmitteln im Allgemeinen und Wurst im Besonderen nichts mehr zu tun.«
Immerhin gilt in der fleischverarbeitenden Industrie ja doch inzwischen der Mindestlohn. Haha!, lachen sie sich schepp. Der lässt sich noch leichter umgehen als in der Bauwirtschaft oder sonst wo. Wohl bekomm’s.

Alf Mayer
Franz Josef Voll, Leo G. Linder: Schweinebande! Der Fleischreport – Ein Metzgermeister über die Praktiken seiner Zunft. Verlag Ludwig, München 2017. Paperback, Klappenbroschur, 288 Seiten, 16,99 €.

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