Schöne neue Welt (91)

Ich glaube fast, mit dem Titel habe ich schon einmal gemeckert, aber das ist schon so lange her, dass der damit verbundene Kulturpessimismus ruhig mal wieder aufgewärmt werden kann. Denn die rasende Entwicklung in unserer elektronifizierten Welt schlägt immer wieder neue Purzelbäume, die einen Technikaffinen der Generation 0.5 schwindelig werden lassen. War in dieser Generation noch der Übergang von der Wählscheibe zum in unterschiedlichen Tonhöhen piepsenden Tastentelefon nahezu weltrevolutionär, so schien mit dem Erscheinen des Commodore*) C128 als diskettenlaufwerksbetriebener*) Nachfolger des legendären C64 das Ende der Fahnenstange der technologischen Entwicklung erreicht. Denn wer hätte gedacht, dass ein angebissener Apfel uns mal in einer Weise beglücken würde, die die Huxleys und Orwells dieser Welt erschauern ließe. Denn ohne das apfelsymboltragende i-Phone, zu dem sich dann später aus namensrechtlichen Gründen das Smartphone gesellte, würden wir mit einem Phone auch heute nur das tun, was der Name sagt: telefonieren, also von Mensch zu Mensch (und manchmal Anrufbeantworter) quasseln. Dank Nokia*) und Motorola*) sogar drahtlos. Das war’s dann aber auch.
Nun aber haben wir Apps*), jene kleinen Bildchen, die wir auf dem Bildschirm unseres x-Phones antippen und die Welt beginnt sich neu zu sortieren. Was haltet ihr zum Beispiel von der App-betriebenen Kaffeekapselmaschine? Per Bluetooth*) kann man sich mit seinem Handy*) mit der Maschine verbinden und den Brühvorgang in Gang setzen. Für eine Bluetoothverbindung muss man sich zwar in Reichweite der Kaffeemaschine befinden, aber – und das ist revolutionär – wir müssen den Startbutton nicht mehr direkt berühren. Die Kapsel fällt app-betrieben ins entsprechende Fach. Und wenn es zur Neige geht, bestellt unsere App rechtzeitig beim Hersteller automatisch Nachschub. Nix mehr Billigware von Aldi, Netto oder Lidl, die sind appmäßig draußen vor. Milch und eventuell Zucker muss man allerdings immer noch händisch in den Becher schütten. Vorausgesetzt, wir haben nicht vergessen, letzteren in die Maschine zu stellen. Das ist mal ein echter Lebensgewinn.
Und dann noch die app-connected Körperwaage. Per Bluetooth oder Wlan mit der Handyapp verbunden, werden die Gewichtsdaten vom Zentralrechner des Waagenherstellers analysiert und mit guten Tipps zur Gewichtsreduzierung zurückgeschickt. Wahrscheinlich auch gleich mit der entsprechenden Werbung eines Herstellers von Abnehmprodukten verknüpft. So die Frau mit der schnieken Oberweite und dem hässlichen Mops. Weil Filmchen können unsere Apps ja auch abspielen. Ich, der ich von Geburt an doch eher zum Untergewicht neige, würde ja mal gerne wissen, was ich für Tipps kriege. McDonalds-Werbung statt Bikinimodelle? Nur so nebenbei: wenn man eine elektronische Körperwaage auf einen hochflorigen Teppich stellt und sich dann wiegt, ist man glatt 1 bis 2 Kilo leichter. Diesen kostenlosen Abnehmtipp habe ich zufällig beim Zappen*) durchs altmodische Fernsehen von einer gebührenfinanzierten Quizshow im staatlichen Bildungsfernsehen erhalten. Technik 1.0 zahlt sich manchmal doch noch aus. Also her mit den Teppichen unter der Badezimmerwaage. Schneller und einfacher geht das Abnehmen kaum.
Zur ›augmented reality‹ (erweiterte Realität) als nächsten Schritt menschlicher Evolution komme ich dann ein anderes Mal. Dafür reicht der Platz nicht.

Jochen Vielhauer

 

*) würde ich dies jetzt nicht in altertümlicher Form für den langsam aus der Mode kommenden Papierdruck schreiben, würde beim Überfahren dieser Begriffe in elektronischen Medien ein wahnsinnig informierendes und ebenso störendes Fenster aufpoppen, das der geneigten Leserin und dem geneigten männlichen Pendant die steinzeitlichen Worte »Diskette«, »Commodore«, »Nokia«, »Motorola« usw. nahebringen, so ganz wikipediamäßig oder so.

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