Schauspiel Frankfurt: Ulrich Rasche inszeniert »Sieben gegen Theben/Antigone«

Die Welt ist eine Scheibe

So viel Angst, so viel Bangen – auf einer schwarzen rotierenden Scheibe, die man als ein Wehrschild, oder als dunkles Schicksalsrad deuten könnte. Die sich unentwegt drehende Spielfläche im Bockenheimer Depot stellt das von einer martialischen Armee belagerte antike Theben im Alarmzustand dar. König Eteokles schwört in der Mitte dieses Runds mit schwerer Zunge die verunsicherte Bevölkerung auf die finale Schlacht ein. Immer in Bewegung, um den Stand zu halten. Es wird schnell eng hier, wenn der Chor der Jungfrauen – mit kalkweißer Farbe geschminkt – sich wie panisch um ihn schart, oder seine lehmverschmiertem Späher mit schauerlichen Berichten angekrochen kommen. Und ziemlich ungemütlich.
Eteokles höhnt den schwachen Weibern, er plustert sich auf und er droht jedem mit dem Tod, der nicht mitzieht, und scheint am wenigsten sich selbst zu überzeugen – ob einer Bedrohung, die immer spürbarer wird, immer näher kommt. Wie es dazu kommen konnte, das erzählt Aischylos in der mit Ödipus anhebenden Trilogie um die Labdakiden-Stadt. In deren mittlerem Teil »Sieben gegen Theben«, den Ulrich Rasche – mit der abschließenden »Antigone« – nun für das Schauspiel Frankfurt inszeniert hat, vernichtet der Fluch seine Söhne. Weil sich Eteokles den vom Vater gewollten jährlichen Machtwechsel verweigert, schmiedet der geprellte Bruder Polyneikes seine Allianz mit den Feinden Thebens.
Aischylos lässt uns in seinem Meisterwerk die Spannung bis zu ihrer schicksalhaften Entladung im entscheidenden Bruderduell aus der Perspektive der Eingeschlossenen erleben. Alles, was vor den Toren Thebens geschieht, wird als Kopfkino über die gewaltigen Lautbilder der Boten vermittelt. Wie in seinen bisherigen Frankfurter Inszenierungen (»Wilhelm Meister«, »Dantons Tod«) grundiert Ulrich Rasche das Bühnengeschehen mit permanenter Bewegung und live gespielter suggestiver Musik (Schlagwerkzeug, Posaunen, Tenor), wobei der Einsatz der rotierenden Scheibe zu völlig verdrehter Gehrhythmik mit wahnwitzigen Choreografien führt. Die einen müssen vorwärts, die andern rückwärts laufen, um im Bild zu bleiben. Bleibt jemand auf der Außenbahn einfach stehen, kreist er wie auf einem Surfbrett um die anderen. Auf der schwarzen den Rückraum abdichtenden Wand flirren dazu Livebilder, die man erst allmählich als Lichtreflexe von schweißglänzenden Männerkörpern erkennt. Von ihnen kommt denn auch der sich in immer heftigeren Wellen heranrollende Marschtritt in der von Ari Benjamin Meyers (Einstürzende Neubauten) komponierten Soundwalze.
Als sich die Schlacht in gleißend aufbrennendem Licht entlädt, wird klar, dass es in dieser Inszenierung nicht wirklich darauf ankommt, jeden der Helden zu kennen, die da aufeinander einschlagen. In einem düsteren Szenario bricht sich ein mächtiger Sog aus Stimmen, Gesang, Musik und Bildern Bahn, dem die weißgetünchten Frauen ihr verzweifeltes »Weh! Wehe! Ihr Verrückten!« als durchaus heutigen Kommentar zum Zeitgeschehen entgegenhalten. Groß!
Für die Rolle des Eteokles hat das Schauspiel Alexander Fehling engagiert, der nach seinen Filmrollen (»Inglourious Basterds«, »Goethe«, »Baader-Meinhof-Komplex«) erstmals wieder auf der Bühne steht. Sich jedes einzelne Wort abringend, ist sein Ödipussohn weit entfernt davon, ein Heros zu sein. Freilich sind dem individuellen Spiel durch die heftige physische Beanspruchung enge Grenzen gesetzt.
Das gilt auch für den zweiten, ruhigeren und viel vertrauteren Teil »Antigone«, in dem Bettina Hoppe und Paula Hans die Titelheldin und ihre Schwester Ismene geben. Die Posaunen begleiten und prägen diesen Part mit einem bisweilen wehmütig aufheulenden Schall, während die Sprechakte sich auf zwei gegenläufige Bänder verlagern. Hoppes resolute, aber auch spröde Antigone rechnet mit der naturgemäß blassen Schwester ab, bevor sie Kreon, vom Rasche-Spezi Toni Jessen gespielt, die fahle Stirn bietet. Dass der Regisseur die Dispute des Haimon mit seinem Vater Kreon auf Ismene übertragen hat, mag zwar als Aufwertung gedacht sein, dringt aber nicht durch. Es bleibt beim Duell. Für einen großen Abend hätte es den zweiten Teil nicht gebraucht. Der Preis, den die Schauspieler dafür zahlen, ist ein ausgelaugter Applaus.

Winnie Geipert (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termine: 2., 5., 11., 16., 17., 23., 24. März, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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