Schauspiel Frankfurt: Robert Borgmann bringt Kafkas »Das Schloss« auf die Bühne

Auf ewig ausgesperrt

Wo sind wir? Im Speicher der Alt-Neu-Synagoge in Kafkas Prag? Wo die Figur des Golem darauf wartet, zu neuem Leben zu erwachen? Ein funzeliges Lämpchen beleuchtet den Lehmklumpen in der Ecke, der sich langsam erhebt und – ein nackter unförmiger Mann – stöhnend über die Bühne hievt, begleitet von einem Sirren, das sich wie ein Tinitus festsetzt (Livemusik: Philipp Weber)
Dieses unheimliche Bild leitet Robert Borgmanns düstere Inszenierung von Franz Kafkas Fragment gebliebenem Roman »Das Schloss« am Schauspiel Frankfurt ein – und beendet sie dreieinhalb Stunden später. Zunächst aber hört man den Beginn der Erzählung aus dem Off, dann erscheinen ihre Figuren: der angebliche Landvermesser K. und Bewohner des Dorfes, in dem er auf dem Weg zum Schloss gelandet ist. In ballettartiger Choreografie tauchen sie von allen Seiten aus dem Dunkel, schwarz-weiß gekleidet meist: der übelgelaunte Wirt, die sperrigen Gehilfen von K., das Mädchen Frieda, mit dem er sich verbindet, und all die anderen.
Die Handlung bleibt im Hintergrund, stattdessen drängen sich Bilder und Assoziationen auf, die sich um Macht, Willkür und Strafe drehen, um Ausgrenzung und Distanz, um Mühen und Scheitern ein Leben lang. Einige davon kommen aus der jüdischen Welt, wie der Golem, wie die Vorstellung eines Herrschers, der nicht genannt werden darf, »Sagen Sie nicht Klamm, sagen sie ›Er‹«, wird K. gemahnt, als er den Namen des hinter einer schwebenden weißen Tür vermuteten Kanzleichefs erwähnt, auf dessen Gnade alle angewiesen sind. Und stellen die durch Sand dorthin führenden Bahngleise nicht die Einfahrt in ein Konzentrationslager vor? Das zittrige Deckenflackern eines sich hebenden und senkenden Hallenbogens legt das nahe, auch das Schrecksekunden lang kalt aufstrahlende Überwachungslicht.
All das kann sein, muss aber nicht. Man hat genug damit zu tun, neun wunderbare Schauspieler und ein Kind ihren 15 verschiedenen Rollen zuzuordnen. Klar ist nur Max Mayer als K., der immer hektischer und verzweifelter agiert. Chaplinesk agieren Stefan Graf und Samuel Simon als Gehilfen, völlig unwirsch hantiert Isaak Dentler als buckeliger Lehrer und Wirt; Frauen, Geliebte und Töchter werden unglaublich wandlungsfähig von Katharina Bach, Altine Emini und Katharina Knap verkörpert. Eine vermutete soziale Etage höher erscheint Wolfgang Pregler in Funktionen des behördlichen Mittelbaus. Heiko Raulin gehört als Barnabas (und Momus) zur diskreditierten Familie.
Die Verhältnisse werden klarer nach der Pause, es werden Enttäuschungen und Verletzungen sichtbar, Beziehungen verändern sich. Und grandios erzählt Katharina Knap unter der Kontur eines LED-Papillons vom Niedergang und der Ächtung ihrer Familie. Der Schmetterling verbrennt, als sie endet, der Traum des Lebens bleibt kurz, und das »Stirb und Werde« bekommt die Gestalt einer Raupe. K., ermüdet vom Leben, verpuppt zum wieder aufgetauchtem Golem. Der entraupt sich und gebiert einen neuen Heiko Raulin, der aus T.S. Eliots »Das wüste Land« (1922) zitiert. Im selben Jahr schrieb Kafka »Das Schloss«. Kein leichter, aber ein bewegender Abend.

Katrin Swoboda (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termine: 1., 2., 7. Februar
www.schauspiel-frankfurt.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert