Schauspiel Frankfurt: Die Geierwally

»Die Geierwally« mit Constanze Becker am Schauspiel FrankfurtDie Grenzen der Freiheit im Tunnelblick

Johanna Wehner inszeniert »Die Geierwally« mit Constanze Becker im Schauspiel Frankfurt

Gesellschaftliche Störenfriede haben es Johanna Wehner, dem Mitglied des neuen REGIEStudios am Schauspiel Frankfurt, derzeit angetan. Menschen also, die sich fordernd und reibend auf ihre Umgebung beziehen, ohne diese Spannung unbedingt auch zu bezwecken. Menschen, die schlichtweg anders und dadurch ein Gradmesser für die Freiheit der Gesellschaft sind, in der sie leben. Eine Frage, die sich für Wehner aus dem Störenfried-Kontext ergibt, lautet: Wie viel Individualität kann die Gesellschaft ertragen? Und umgekehrt: Wie viel kann der/die Einzelne aushalten in einem Umfeld, das einen bestimmten Weg als den richtigen vorgibt? Eine andere: Wie groß ist das Spektrum der persönlichen Entwicklung?

Für diesen »Tunnelblick« der in Bonn aufgewachsenen Nachwuchsregisseurin, die freilich schon 32 Jahre alt ist, hat sich als geeignetes Sujet sehr schnell »Die Geierwally« offenbart. Die von Wilhelmine von Hillern schon 1873 recherchierte Lebensgeschichte einer Tirolerin, die von ihrem gnadenlosen Vater zum Mannweib erzogen wurde und darum nolens volens quer zu allen Konventionen geriet. Es gibt einen berühmten Film aus den 50ern zu dieser Frau, aber auch ein Musical, eine Oper und selbst ein Theaterstück über sie.

In dieser so volks- und altertümlich um die Ecke kommenden Figur und in den Konflikten, denen sie ausgesetzt sei, würden Rollenverhalten und -grenzen angesprochen, in denen sich auch Frauen von heute wiederfinden könnten, weist Johanna Wehner beispielhaft auf Klischees, mit denen beruflich erfolgreiche Frauen bedacht werden. Ein anderer Aspekt des facettenreichen Stücks sei die Pseudofreiheit des Aussteigens, die sich im Bild Wallys auf einem Berggipfel manifestiere, wo ihre Möglichkeiten in Wahrheit gegen null gingen.

Mit Constanze Becker hat Wehner freilich eine wunderbare Besetzung für die Hauptrolle gefunden, die mit Torben Kessler und Heidi Ecks zwei weitere profilierte Partner an ihrer Seite hat, eine vierte Position ist derweil noch offen. Das Drehbuch will die Bonnerin aus der von Theresia Walser und Karl-Heinz Ott erstellten Theaterfassung des Romans selbst destillieren. Da es um die Vermittlung einer lebensumspannenden Geschichte geht, soll die szenische Darstellung durch narrative Elemente des Erinnerns ergänzt werden.

Wilfried Geipert
Termine: 22. (Premiere), 23. Oktober, jeweils 20 Uhr
Info: www.schauspielfrankfurt.de

 


Frankfurter Modell

REGIEstudio

Nur als einen einzigen Schuss haben die ohnehin raren Absolventen eines Regie-Studiengangs nach den acht üblichen Semestern gewöhnlich. Schaffen sie es nicht, die Fachwelt mit ihrer öffentlichen Abschlussaufführung zu beeindrucken, dann hat sich das in der Regel erledigt mit dem Traumberuf.

Kein Wunder also, dass die Resonanz riesig war, als das Schauspiel Frankfurt sich zu der Pioniertat »REGIEStudio« entschloss und drei Nachwuchsregisseuren für gleich mehrere Produktionen über eine volle Spielzeit eine feste Bühne, das Hausformat Box, anbot – ohne existenziellen Druck und inhaltliche Vorgaben. Aus über 150 Bewerbungen wurde ausgewählt. Frisch von der Studienbank sind die auserkorenen Talente allerdings nicht. Johanna Wehner (siehe nebenan) war nach ihrer Stuttgarter Inszenierung von »Der Goldene Drache« schon für die Wahl der besten Nachwuchsregisseurin nominiert; Alexander Eisenach, der mit Thomas Manns »Wälsungenblut« bereits erfolgreich debütierte, hat am Centraltheater Leipzig auf sich aufmerksam gemacht, während der Studienabbrecher Ersan Mondtag in Berlin und München schon mehrfach performativ aktiv gewesen ist.

Über die individuellen Arbeiten hinaus will das Trio das Programm der künftig etwas offener plazierten Box (zirka 60 Zuschauer) an das Geschehen der Großen Bühne des Hauses binden. So lange »Die Nibelungen« angesagt sind, wird die Box als Walhalla sich mit Lesungen, Performances und Spielbeiträgen auf das Mega-Spektakel beziehen.

gt

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