Schauspiel Frankfurt: »Die Geschichte vom Franz Biberkopf mit den Tiger Lillies«

Seines Unglücks eigener Schmied

Stürzen sich die Regisseure jetzt auf die Stücke über die Zwanziger und Dreißiger? Oder ist es umgekehrt? Neben Horvath, Seghers und Kästner steht nun auch Alfred Döblin im Fokus der Frankfurter Bühnen. Stephanie Mohr hat dessen »Die Geschichte vom Franz Biberkopf« für das Schauspiel inszeniert, die eigenständige Hörspielfassung seines Romans »Berlin Alexanderplatz«, und dafür die großartigen Tiger Lillies engagiert. Das Ergebnis: eine völlig unangestrengte, aber auch wenig anstrengende Aufführung, in der Spiel und Musik gleichberechtigt sind und sich bestens vertragen.
Dabei gelingen es Mohr und dem glänzenden Sascha Nathan die Abdrift des Helden so grenzenlos berührend darzustellen, dass wohl auch, wer nur wegen der Tiger Lillies kommt, sich des Mitgefühls kaum wird erwehren können. Nathan gibt eine Tanzbär-Version von Horvaths Elisabeth, die den Kopf aller Nackenschläge zum Trotz nicht hängen lässt, indem er immer wieder beteuert, was für ein anständiger Kerl er doch ist und sein möchte. Das genügt fast, ihm nachzusehen, dass er seine Freundin erschlagen und nicht eben viel in der Birne hat. Mehr noch; es tut nachgerade weh, mit anzusehen, wie diese treuselige Dumpfbacke sich über den Tisch ziehen lässt, dann ihren Arm und später ihr Leben verliert und das Unglück seiner Mieze heraufbeschwört. Biberkopf ist seines Unglücks eigener Schmied und nicht nur Opfer.
Die Menschen, mit denen er im Guten wie im Schlechten – und gemäßigt berlinerisch – verkehrt, sind allesamt weiß und clownesk geschminkt und nicht immer zu unterscheiden. Paula Hans als Mieze, Josefine Platt als Eve und das neue Ensemble-Mitglied Felix Rech als der Psychopath Reinhold allerdings zeichnen Charaktere, die man nicht so schnell vergisst. Wie selbstredend auch den mit singender Säge, Akkordeon und dem unverwechselbaren Falsett von Bandchef Marthyn Jacques auftrumpfenden Moritatengesang der Lillies, die mit 13 eigens komponierten Songs das traurige Geschehen so eingängig und gefühlvoll begleiten, das man ihre Texte meist mühelos versteht: »Reinhold he is Satan, Reinhold he is bad, Reinhold he is the devil himself. And he’s mad.« Keine Fragen offen.
Klasse hat auch die Bühne, die alles, was es braucht, aus der Tiefe hievt oder vom Himmel senkt. Da fahren Theken und illuminierte Rahmen auf, in denen die Band Platz hat, und ganze Wälder fahren kopfgestellt vom Schnürboden herab, um die Kulisse für Miezes grausames Ende zu geben – einen der darstellerischen Höhepunkte der Schau. Was in diesem Allegorie-reichen Stück ganz biblisch mit einem Dialog zwischen Hiob und Satan beginnt, endet mit einem Left-Rrrright-Marsch ins historische Grauen, während an der Rückwand ein Neonbeil rhythmisch Neonblut spritzend in den Nacken eines Neonschweins. hackt – und vom großen Schlachten kündet.

gt (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termine: 5., 7., 11., 12., 21., 22., 23. Oktober, 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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