Schauspiel Frankfurt: Der Menschenfeind

Der Menschenfeind (Foto: Birgit Hupfeld)Vom Rebell zum Me-too

Im Schauspiel Frankfurt wird »Der Menschenfeind« vorgeführt

Das ist schon ein seltsamer, sang- und klangloser Abgang, den Molière seinem Misanthropen Alceste da angedichtet hat, kaum dass die heiß geliebte Célimène einwilligt, ihn zu heiraten. Das Ja genügt ihm plötzlich nicht mehr, er will sie nun ganz allein für sich haben und fern vom verhassten höfischen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Nach ihrem Nein dazu heißt es lapidar: Alceste ab.

Zieht er nun tatsächlich zum Einsiedeln aufs Land? Gehen wir mal davon aus, dass Alcestes unerfüllbare Forderung nichts als die tiefe Bindungsangst des wandelnden Lügendetektors verrät, zumal Célimène ihm zu diesem Zeitpunkt längst die Image-Hosen heruntergezogen hat, bettelte der Wahrheitsapostel sie kurz zuvor doch noch an, ihn bitte lieber zu belügen, als ihn zu verlassen.

Die Inszenierung »Der Menschenfeind« am Frankfurter Schauspiel verlegt das immergrüne Thema vom schönen Schein der Umgangsformen in eine Art 50er-Jahre-Gegenwart. Warum? Warum auch immer. Eine lange, weiß-silberne Bar beherrscht die linke Seite der Bühne, auf die man gleichsam von außen im nächtlichen Halogen-Licht einer Reihe von hochragenden Parkplatzlampen blickt. Edward Hoppers Gemälde »Nighthawks« vermittelt diese Stimmung eines Zufluchtsorts isolierter Menschen.

Während Alceste sich hier nicht nur in den herrlichen Dialogen Molières, sondern auch im Outfit (lässiger Trenchcoat, Jeans, rote Kappe, ungekämmt) als Verweigerer inszeniert, tragen seine Mitmenschen schickes städtisches Ausgeh-comme-il-faut. Regisseur Günter Krämer genügt es, das Credo Alcestes im Disput mit dem Pseudodichter Oronte (Martin Rentzsch) zu illustrieren und verzichtet auf den kompletten ersten Akt. Dafür richtet er, etliche Figuren aussparend, den Fokus ganz auf die emotionale Bruchstelle im verqueren Verhältnis des Nonkonformisten zur Society-Ikone.

Wolfgang Michael verleiht Alceste eine Arroganz, die der doch sonst für ihre Geradlinigkeit zunächst geschätzten Figur schnell alle Sympathien kostet: ein in die Jahre gekommener unerbittlicher Ankläger, dem nichts mehr zuwider wäre, als beliebt zu sein. Allerdings erstaunt es, welche Wende der snobistische Anti-Snob nach der Pause nimmt. Im schwarzen Anzug und pfundweise Gel im Haar schrumpft der an seinen Gefühlen scheiternde Rebell zu einem Me-too der Party-Szene und überlässt den Platz unter dem Scheinwerfer Franziska Junges silberglitzernden Schaufrau Célimène.

Hochhackig und tiefdekolletiert, gefallsüchtig und von allen begehrt auf singende Trophy-Lady (»Sweet dreams are made of this«) gedrillt, wird die Imponier-Furie nun coram publico vorgeführt, weil sie etwas allzu offen über die Szene spöttelte. Bespuckt, beschimpft und von der neidischen Schattenfreundin Arsinoe (Claude de Demo) anschaulich als Kunstprodukt mit falschen Wimpern und Korsett demaskiert, ist Célimène am Ende der Demontage die große Verliererin – und doch die einzige authentische Figur.

Wie schon in »Salomé« bevölkert Krämer die Bühne mit einer juvenilen Boy-Gruppe, die sich als Partyszene zwischen den Schaufrauen am Tresen und einer veritablen Raucherkabine bewegt. Letzteres darf wohl als spöttischer Kommentar zum wachsenden Entsetzen über Zigarettenqualm an der Rampe betrachtet werden. Auch für Nichtraucher empfohlen.

Winnie Geipert
Termine: 11., 18., 23. Dezember 19.30 Uhr; 31. Dezember 18 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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