Retrospektive der Berlinale 2014

Berlinale Retro: Ninjo Kamifusen (Foto: Toho Co. Ltd.)Wo Licht ist, ist auch Schatten

Am Anfang war das Licht – auch im Film. Noch zu Stummfilmzeiten zog es die amerikanischen Produktionsfirmen ins sonnige Kalifornien, wo sie Ateliers mit Glasdächern bauten. Etwas später, als sie in Kunstlichstudios umgezogen waren, entdeckten die Filmemacher den Schatten als Stilmittel. Vor allem in Deutschland war man ganz vernarrt in den Schatten. Man nannte die dunklen Filme »expressionistisch«, und sie beeindruckten die Kinobesucher weltweit. Die Berlinale-Retrospektive »The Weimar Touch« im letzten Jahr widmete sich dem Einfluss dieser deutschen Filme auf die Filmemacher in anderen Ländern.

Die Retrospektive »Aesthetics of Schadows. Lighting Styles 1915–1950« der diesjährigen Berlinale kann nun als eine Art Fortsetzung und Erweiterung angesehen werden. Diesmal ging es um verschiedene Beleuchtungsstile im Film, auch um Entwicklungen im Verlauf der Filmgeschichte.

Wenn von dem intelligenten Einsatz von enthüllendem Licht und verbergendem Schatten die Rede ist, denkt man zuerst an Josef von Sternberg und daran, wie er Marlene Dietrich ins Bild setzte. »Das ist die ganze Kunst – zu wissen, was man enthüllt und was man verbirgt, in welchem Maße und wie man das tut«, hat der begnadete Lichtmaler in seiner Autobiographie den Grundsatz seiner Kunst zusammengefasst. Er behauptete, er habe vor Beginn der Dreharbeiten die Scheinwerfer höchstpersönlich eingerichtet. So erzeugte er genau jene Künstlichkeit, die seine Filme auszeichnet. Als Beispiel für seine ausgetüftelte Schwarz-weiß-Inszenierung war »Shanghai Express« zu sehen. Dagegen haben Regisseure wie John Ford ihre Lichtsetzung stärker an der Handlung orientiert. Von ihm standen »Stagecoach« (Ringo), der John-Wayne-Western mit dem Postkutschenüberfall, und »The Grapes of Wrath« (Früchte des Zoerns), die Verfilmung von John Steinbecks Roman über die große Depression in den USA, auf dem Programm.

Doch der Schwerpunkt der Retrospektive lag auf dem japanischen Film. Akira Kurosawa war mit dem seinerzeit revolutionären »Rashomon« vertreten. Mittlerweile überrascht weniger, dass ein und derselbe Vorfall in vier unterschiedlichen Versionen geschildert wird. Man weiß, was einen erwartet, und kann sich deshalb auf die grandiosen Bilder (etwa den Gang durch den Wald zu Beginn) konzentrieren. Die überspannten Figuren und die bohrende Frage nach der Schuld der Beteiligten, die sich noch dazu alle selbst anklagen, weisen Kurosawa als begeisterten Dostojewski-Leser aus. Am Beispiel »Sono no yo tsuma« (Die Frau jener Nacht), einem Stummfilm des Regiemeisters Yasujiro Ozu, konnte man den Einfluss amerikanischer Gangsterfilme erkennen. Ebenso orientiert sich der junge Sadao Yamanaka in »Ninjo kamifusen« (Menschlichkeit und Papierballon), einem der schönsten Filme, die in Berlin gezeigt wurden, an amerikanischen Vorbildern. Yamanaka zeigt den tragisch-komischen Existenzkampf der Bewohner eines Tokioter Armenviertel im 18. Jahrhunderts mit großem Einfühlungsvermögen.

Interessant waren die Filme, in denen das klassische japanische Theater im Mittelpunkt steht. So hat Teinosuke Kinugasa die Szenen in der »Wirklichkeit« in kontrastreiches Licht à la Hollywood und die Theaterszenen in durchweg helles Licht getaucht. Sein Film »Yukinojo Henge« (Yukinojos Verwandlung / An Actor’s Revange) lief in der einzig erhaltenen Zusammenfassung eines Dreiteilers aus den dreißiger Jahren. Ungewohnt ist der heitere Ton in »Oshidori utagassen«, einem Samurai-Musical von Masahiro Makino, scheint doch das klassische japanische Kino für uns ausschließlich aus Dramen zu bestehen.

Rund 40 Filme waren in der Retrospektive zu sehen, bis auf ein paar digitale Ausnahmen in den bestmöglichen 35mm-Kopien, die mit zwei Projektoren vorgeführt wurden, da die einzelnen Filmrollen, sofern sie aus Filmarchiven kamen, nicht zusammengeklebt werden durften. Wenn man in den Projektionsraum zurückschaute, fühlte man sich in längst vergangene Kinotage versetzt.

Claus Wecker
www.berlinale.de
Zu der Retrospektive ist ein lesenswertes, reich bebildertes Buch erschienen:
Connie Betz, Julia Pattis, Rainer Rother (Herausgeber): »Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915–1950«. Marburg: Schüren-Verlag, 160 Seiten, 19,90 Euro.

 

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