Paradies: Glaube (Start: 21.3.2013)

Paradies: GlaubeFundamental

»Paradies: Glaube« von Ulrich Seidl

 

Das fängt nicht gut an, mit dem Blick auf eine Frau, die vor dem Kreuz eine Unkeuschheit beichtet und sich dafür selber auspeitscht. Da ist alles Unheil im Glauben schon da und das Paradies verloren. Oder? Und der Blick wendet sich nicht, vielmehr sehen wir das in drei längeren Einstellungen.

Die Drei ist die Zahl dieses Films. »Danke Jesus, Danke«, so beendet die Frau ihre Exerzitien. Wo sind wir da? In einer ganz persönlichen Hölle? Die Dunkelheit könnte darauf schließen lassen. In einer besonders bizarren Form von sexueller Sublimation? Die Inbrunst des Aktes und die Nacktheit der Frau mag darauf hinweisen. In religiösem Wahn? Jedenfalls in einem Ulrich-Seidl-Film. Dem zweiten der Trilogie über Glaube, Liebe und Hoffnung. Über das, was statt des Paradieses jenseits der weiblichen Gefängnisse liegt. Die Welt, nichts als die Welt, wie wir sie kennen – aber nicht sehen wollen.
Anna Maria – Maria Hofstätter, die wir aus »Hundstage« und »Import Export« kennen und die durch eine Nebenrolle auch eine Beziehung zu »Paradies: Liebe« herstellt – ist nicht nur von ganzem Herzen, sondern vielleicht mehr noch von ganzem Körper katholisch. Sie rutscht auf Knien durchs Haus, das wie ein Labyrinth von Kruzifixen keinen Weg nach draußen weiß, sie trägt die Muttergottes von Haus zu Haus, um allen Menschen, vor allem den Ungläubigen aus der Fremde, das Licht des Paradieses zu weisen; das Gebet ist ihr Leben, begleitet sie noch beim Treppensteigen, und auch im Bett hat sie Jesus dabei, will ihn ganz direkt in sich spüren. Sie will ihre Welt katholisch machen, vielleicht wäre das der einzige Weg, nicht mehr in solch disparaten Welten und Gefängnissen leben zu müssen. Im Krankenhaus bei der Arbeit, diesem Hort des Elends und der Angst, in ihrer ganz eigenen Körperkirche, und in einer Umgebung, die ratlos auf die seltsame Heilige reagiert. Und dann kommt auch noch ihr Ehemann zurück.
Nabil, der Muslim – dargestellt von Nabil Saleh, der kein ausgebildeter Schauspieler ist und sich improvisierend in die Situation einfühlt – der nach langen Jahren in seiner ägyptischen Heimat im Rollstuhl in die Wohnung zieht, weil er ja als Mann das Recht dazu hat und weil umgekehrt seine katholische Ehefrau kein Recht auf eine Trennung hat. Und weil nun gerade dies, die Liebe, keine Lösung mehr sein kann, beginnen die beiden einen ganz privaten Religionskrieg gegeneinander. Das könnte sehr komisch sein. Vorausgesetzt, man könnte sich ein Happy End vorstellen. Vorausgesetzt, es gäbe jemanden, der in diese private Doppelhölle eingreifen könnte. Vorausgesetzt, die Götter wären menschlich.
Aber das Komische taucht hier nur dann und wann auf. Wie in einer Szene, da Anna Maria einem halbnackten Mann mit Gelenkschmerzen das andächtige Beten vor ihrer »Wandermuttergottes« beibringen will (im Zimmer der kürzlich verstorbenen wirklichen Mutter: hier führt das Peinliche immer zurück auf die Pein). Komisches also immer nur zwischen dem Erschreckenden. Wir sind, wie gesagt, in einem Ulrich Seidl-Film. »Die Erde ist schön, es liebt sie der Herr, neu ist der Mensch, der liebt«, singt Anna Maria zu ihrem Harmonium am verdunkelten Fenstern. Sie hat die Welt ausgeschlossen, die sie erlösen will. Sie hat das Kreuz auf sich genommen, gewiss, aber sie weiß in Wahrheit nicht, wohin man es zu tragen hätte. Und ihr Mann, der mit der Hoffnung auf Liebe kam und nur Hass antraf, findet Zuneigung nicht einmal bei der Katze.
Farben und Licht in diesem Film erinnern an vorbarocke Kirchen und ihre Malereien. Der Weg zur S-Bahn eine Heiligen-Passion, die Küche eine Sakristei, und die Welt voller Wechsler, Ketzer und Begierden. Anna Maria glaubt auf eine so radikale Weise, wie wir sie noch von christlichen Nonnenklöstern vergangener religiöser Epochen zu erahnen glauben; Jesus ist nicht nur ihr Gott, sondern auch ihr Mann (»der schönste Mann, den es gibt«, sagt sie über ihn) und ihr Kind. Und mit den Menschen kann sie gar keine andere Beziehung haben als durch ihr missionarisches Eifern und in ihrer Gebetsgruppe, die sich nur als »Speerspitze des rechten Glaubens« und »Sturmtruppe der Kirche« verstehen kann, die ihrem Jesus schwören, dass Österreich wieder katholisch wird. Vielleicht kann man, neben vielem anderen, diesen Film auch als Studie über die Entstehung der Weltkrankheit »Fundamentalismus« ansehen.
Bei der Uraufführung von »Paradies: Glaube« verklagte die katholische Organisation »NO 194« den Regisseur und die Hauptdarstellerin wegen Blasphemie. Und recht haben sie, die Herren »konservativen« Kirchenvertreter. Denn der Film macht das Blasphemistischste was man mit der Religion tun kann. Er nimmt sie ernst in einem Menschen.

Georg Seeßlen
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PARADIES: GLAUBE
von Ulrich Seidl, A/F/D 2012, 113 Min.
mit Maria Hofstätter, Nabil Saleh
Drama
Start: 21.03.2013

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