Museum Wiesbaden: »Horizont Jawlensky«

Jawlensky: Bildnis mit Zylinder (Foto: Privatbesitz)Ein Meister fällt nicht vom Himmel

Museum Wiesbaden: »Horizont Jawlensky« geht auf Spurensuche

Was tun, wenn der liebste aller Pflegebefohlenen Geburtstag hat? Vor diesem fast elterlichen Problem stand das Museum Wiesbaden vor dem 150. Ehrentag von Alexej von Jawlensky, der von 1921 bis 1941 in der Kurstadt lebte. Von keinem anderen Maler hat das Haus mehr Bilder (über 100), und nur ein Museum im fernen kalifornischen Pasadena, so gilt es an dieser Stelle eine Notiz im März-Strandgut (Seite 29) zu korrigieren, hat ein paar mehr von ihm.

Die Museumsmacher entschieden sich, ihre Feier mit einem spezifischen Blick auf Jawlenskys schöpferischen Werdegang auszurichten, auf die Selbstfindung des 1896 mit seiner Lehrerin und Lebensgefährtin Marianne von Werefkin nach München übergesiedelten 32-jährigen Russen. »Horizont Jawlensky« fokussiert sein Ringen und seine künstlerischen Dialoge mit den großen Malern seiner Zeit und ihrer Techniken. Höchst ansichtig ist auf diese Weise der erst in den Vorkriegsjahren ausreifende Prozess eines »Making of« nachzuvollziehen, an dessen expressionistischer Mündung die starken Farben und so typischen schwarzen Umrisslinien des Meisters stehen. Etwa hundert seiner eigenen Arbeiten sind dafür ausersehen sowie 80 teils berühmte Werke von 38 der Kollegen und Vorbilder, die Jawlensky nachweislich oder wahrscheinlich gesehen und studiert hat. Prominente Partygäste aus aller Welt, wenn man so will, von Cézanne und van Gogh über Vlaminck und Munch bis zu Gauguin, Delaunay und Matisse, die sich nach der Ausstellung und einem Stopover in der Kunsthalle Emden wieder in alle Winde zerstreuen – was ein weiterer Besuchsgrund ist.

Die eigentlich chronologisch geordnete Hängung überrascht gleich nach den ersten Münchner Eindrücken unter seinem Lehrer Anton Azbe mit einem radikalen Bruch. Denn der zweite Raum des Parcours dem Bild einer Kriegswinterlandschaft »Zerschossener Wald bei Verdun« von 1916 dominiert, das sein lebenslanger Freund Adolf Erbslöh gemalt hat, und von verstörenden Dokumentarfilmen. Jawlensky, der als Russe beim Kriegsausbruch am 1. August 1914 genötigt war, Deutschland umgehend zu verlassen, lebte da schon in St. Prex am Genfer See und hatte seine blassen, immer mehr ins Abstrakte abdriftenden Fensterblickvariationen aufgenommen. Eine didaktische Volte, die dem Kurator Roman Zieglgänsberger zufolge dazu beitragen soll, sich im weiteren Verlauf auf Kandinskys Genese zu konzentrieren, ohne deren vorläufiges Ende zu übergehen.

Die lehrreiche Ausstellung vermittelt den Eindruck, Jawlensky habe sich im Abhakverfahren einen Kollegen nach dem andern vorgeknöpft, um mit ihnen mal die Farbe, mal den Stil, mal die Perspektive oder die Bildkomposition zum Thema zu machen. So offensichtlich deren Spuren aber auch sein mögen, behaupten seine Porträts, Stillleben und Landschaften doch stets eine Eigenständigkeit. Zu den aufschlussreichsten Adaptionen gehört das Vincent van Gogh nachempfundene Selbstporträt von 1904, auf dem sich der Künstler – ganz anders als sein Vorbild – in großbourgeoiser Attitüde mit schwarzem hohen Zylinder zeigt. Es ist zwar noch kein Meister vom Himmel gefallen, aus dem Rahmen aber schon.

Lorenz Gatt
Bis 1. Juni: Mi., Fr.–So. 10–17 Uhr;
Di., Do. 10–20 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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