Museum Sinclair-Haus Bad Homburg: »Sünde und Erkenntnis – Die Frucht in der Kunst«

Backblech der Sinne

Es kann nicht falsch sein, diese kleine Besprechung mit einem Augenzwinkern einzuleiten. Mit dem Augenzwinkern der Quitte von Lucian Freud nämlich. Der britische Künstler, Enkel von Sigmund Freud, hat das bei uns abseits des Gelees eher fremdelnde Obst 1947 mit Blei- und Buntstift sowie Tusche als ein in jedem Sinne gezeichnetes Früchtchen porträtiert, das mit all seinen Makeln und Dellen auf der blassfahlen Schale leicht stichig und wie vom Baum gefallen wirkt. Ein kleiner schwarzer Zufallsfleck sieht wie das niedergeschlagene Lid eines Manga-Mädchens aus und verleiht ihm jenes Augenspiel, das uns zu seinem Eigentümer führt: dem Heidelberger Unternehmer und Professoren Rainer Wild.
Der sammelt seit über 40 Jahren nicht von ungefähr Kunstwerk zum Thema Früchte. Im Betrieb seiner Eltern, den er später übernahm, werden von jeher Fruchtsäfte wie die noch immer populäre »Capri-Sonne« produziert, sein Chemiediplom hat Wild mit einer Arbeit über die toxikologische Wirkung von Früchten erstritten, und nachdem er als Fruchteinkäufer die Welt bereiste 1996 die  Firma Naturfarben gegründet. Plausibler lässt sich der Aufbau einer Kunstsammlung ja wohl kaum motivieren.
Dabei hat sich Wild von Beginn an auf die mit dem Expressionismus anhebende Moderne bis zur Gegenwart konzentriert. Rund ein Viertel der mehr als 300 Objekte, die der heute 73 Jahre alte Frucht- und Kunstexperte zusammengetragen hat, zeigt das Sinclair-Haus nun unter dem etwas lauten Titel »Sünde und Erkenntnis – Die Frucht in der Kunst«. Vor falschen Erwartungen sei aber gewarnt.
Beim Anblick von Juliane Gottwalds 1997 entstandenem wandfüllenden Pflaumenkuchen in Öl freilich fliegt wohl manchem das Backblech weg, auf dem das aus tiefblauer, schwarzer Hülle quellende blassrote Fruchtfleisch liegt. Das saftet so sehr, dass man sich über Tropfspuren auf Tapete und Parkett nicht wundern würde. Das schiere Gegenbild zu diesem Backblech der Sinne offenbart uns die jeffkoonige Skulptur »Chiquita Banana« des US-amerikanischen Popart-Künstlers Mel Remos. Dass die aus Kunstharz gefertigte Persiflage auch als Auftragswerk des weltgrößten Bananenproduzenten vorstellbar wäre, sagt alles – über die Werbung und ihre Klientel. Aus den sich nach vier Seiten wölbenden Schalen ragt phallisch ein barbusiges Pin-up mit Schlafzimmerblick und bananengelber dichter Mähne. Soll man Remos dankbar sein, dass er sie keine Banane essen lässt?
Auch wenn die überquellenden Obstschalen mit reifen Pfirsichen in goldenem Glanz und Fruchtfliegen drauf hier fehlen, ist das Alte-Meister-Motiv der Vanitas auf der ganz nach ästhetischem Empfinden eingerichteten Schau durchaus ein Thema. Wie Exemplare einer Schmetterlingssammlung von groß nach klein hat Städel-Absolventin Laura Kuch getrocknete Überbleibsel in einer Glasvitrine gehängt: »Display Cabinet #01: First Ever Seen By Me« lautet ihre Einladung zum What-was-What im Obst und Gemüsegarten. Recht unappetitlich drückt sich die Vergänglichkeit in Gavin Turks täuschendem Abbild dessen aus, was der Südhesse einen Apfelkrotzen nennt: »Gala (eaten apple)« – ein bis auf das Kerngehäuse abgenagter Apfel – akkurat in Bronze gegossen. Was macht man mit sowas?
Hans Oop de Beek nennt das Thema mit seiner Arbeit »Vanitas« sogar beim Namen. Der kürzlich in Frankfurt noch sehr präsente Belgier (das Video »Staging Silence« lief im MMK, sein selbstinszeniertes Theaterstück »Nach dem Fest« am Schauspiel) hat seinen Arbeitstisch mit allem, was ein bildender Künstler braucht, aus Gips nachgebildet und mit einem dicken Staubgrau belegt. Trauben, Bananen, Apfel, ein Spray, ein Buch, Stifte, Werkzeug, eine Milchtüte und der volle Ascher versinnbildlichen im tradierten Stil einen verlorenen Moment künstlerischen Schaffens
Unter den frühen Werken dieser bunten und irgendwie verspielt angelegten Ausstellung sind Alexej Jawlensky, Gabriele Münter, Karl Schmidt-Rottluff, Pablo Picasso und auch Emil Nolde zu finden. Joseph Beuys ist mit seiner Zitronenglühbirne »Capri-Batterie«, Andy Warhol mit einer hingestreuten Walnuss-Kollektion, Ai Wei Wei mit einer Megamelone aus Porzellan vertreten. Und Fräulein Evas verhängnisvolles Gespür für Äpfel wird von Karin Kneffel hyperrealistisch in einem Großformat bedient, das keine Lockwünsche offen lässt. Ein Entdeckerparcours, auf dem man sich über Orangen, die auf Stein gemalt sind, und wie weggeworfen herumliegende Bananenschalen aus Wolle wundern darf, während einem Jacques Brels großer Chanson über das Vergehen nicht aus den Sinnen will.

Lorenz Gatt (Foto: Juliane Gottwald, © gt)
Bis 25. September: Di. 14–20 Uhr; Mi.–Fr. 14–19 Uhr; Sa., So. 10–18 Uhr
www.altana-kulturstiftung.de

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