Museum Judengasse: Passion. Die Sammlung Martha und Robert von Hirsch

Tulpen und Phantome

Zirka 500 Negativglasplatten, auf denen Gemälde und Zeichnungen in Schwarzweiß abgelichtet sind, fanden sich 1978 in der Hinterlassenschaft des jüdischen Kunstsammlers Robert von Hirsch in Basel. Sie zeigen die ehemals bedeutendste Privatsammlung Europas mit Werken von Raphael, Rubens, Degas, Matisse, Cézanne, Rodin und vielen anderen. Es wird vermutet, dass der 1978 verstorbene Frankfurter und seine Frau Martha die Aufnahmen zur Dokumentation aus Versicherungszwecken anfertigen ließen. Die Negativsicht legt auf frappierende Weise Strukturen, Linien und Farbverläufe frei, die sich dem Blick auf die Originalgemälde entziehen, und verdankt ihren verblüffenden ästhetischen Reizen auch eine separate Existenz im Kontext ihrer Geschichte.

Unter dem mehrdeutigen Titel »Passion« erweckt das Museum Judengasse, über drei Räume verteilt, die 1978 per Auktion aufgelöste Kunstsammlung zu einem phantomhaften neuen Leben auf Zeit. Rund 40 dieser Umkehrbilder sind in zwei Reihen chronologisch aufgereiht, während 30 weitere zu den Klängen von Modest Mussorgskis »Bilder einer Ausstellung« in einem abgedunkelten Nebenzimmer an die Wände projiziert werden. Im angenehm kontrastierenden dritten Raum der Schau eröffnen Farbfotos den Blick in die stimmungsvollen Säle und Zimmer der Baseler Villa mit den in Petersburger Dichte gehängten Originalen, sowie in den botanischen Garten, der den Kunstwerken an Fülle, Farbe und Leidenschaft gewiss nicht nachsteht.

So viel Kopf wie bei dieser Ausstellung ist selten, denn nicht nur die Originale muss, wer kann, sich zu den Negativen denken. Der Blick auf die gespenstisch anmutenden Schemen bricht nolens volens auch den vielschichtigen historischen Boden auf, der vom vernichteten Frankfurter Großbürgertum der Zwanziger bis in die aktuellen Diskussionen um Raff und Raub reicht. Wer sich vor zwei Jahren im Rahmen von »Frankfurt liest ein Buch« mit Silvia Tennenbaums autobiographischem Stadtroman »Die Straßen von gestern« beschäftigt hat, weiß, dass die Autorin eine Großnichte von Martha Dreyfus-Koch ist – und »Onkel Erhard« niemand anderes als Robert von Hirsch. Um seine Sammlung 1933 halbwegs vollständig aus dem Westend in die Schweiz bringen zu können, musste der Direktor einer Offenbacher Lederwarenfabrik nicht nur die so genannte Reichsfluchtsteuer zahlen, sondern obendrein Hermann Göring das »Urteil des Paris« von Lucas Cranach d.Ä. (1528) vermachen. Dass Hirsch testamentarisches Vermächtnis, seine komplette Sammlung über Sothebys der Sammlerwelt zu vermachen, nicht nur in Basel, sondern auch in Frankfurt auf Unverständnis stieß, muss man nicht verstehen. Im Städel hängt davon Adam Elsheimers hier auch zu sehendes »Jakobs Traum« von 1600, im MAK steht ein Röntgen-Schreibtisch aus dem Hirsch-Nachlass.

Dass die Leidenschaft für das Kunstschöne mit der für das Naturschöne Hand in Hand bei den Hirschs ging, ist nicht nur ein schöner, sondern auch ein konstitutiver Aspekt der von dem Frankfurter Künstlerduo JA-ART (Agnes Stockmann, Jon Pahlow) konzipierten und mit inselartigen kleinen Tulpenbeeten dekorierten Schau. Die Glasplatten hat Stockmann von ihrem Onkel Eduard Heger bekommen, den die Hirschs aus dem Frankfurter Palmengarten als Gärtner für ihren Park engagiert hatten.

Lorenz Gatt
Bis 18. Mai: Di.–So. 10–17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr
www.jüdischesmuseum.de

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