Museum für Kommunikation (MfK): »Außer Kontrolle«

Geheimkamera eingebaut in einer Gießkanne (Foto: Haus der Geschichte der BRD)Angezapft, begafft und ausgespäht

Die ersten Glückwünsche, die MfK-Direktor Helmut Gold für die Ausstellung »Außer Kontrolle. Leben in einer überwachten Welt« noch vor deren Eröffnung einheimste, beruhten auf falscher Dateninterpretation. Sein Haus hat mitnichten superschnell auf den Fall Snowden und die NSA regiert, sondern schon geplant, als man sich in Deutschland wie nirgendwo anders noch gegen die Vermessung der Welt durch Google Street View empörte, Häuser verpixelte und heiß debattierte über die gläserne Post-Privacy-Gesellschaft.

Freilich kommt den Ausstellern jetzt der NSA-Skandal ganz gelegen, und er findet auch einigen Niederschlag. Aber erst einmal absolviert der Besucher, dem schon auf der Treppe zur Schau zahlreiche Minikameras nachgieren, einen selbstredend überwachten Parcours, auf dem die gesellschaftliche Funktion der Kontrolle mit rund 200 Exponaten nicht nur technisch, sondern auch soziokulturell und historisch gleich doppelt beleuchtet wird: von der Seite der Überwachten und von der Seite der Überwachenden.

Die religiöse, gleichwohl psychologische Komponente vom lieben Gott, der alles sieht, haben die Museumsmacher ausgespart. Sie laden unter dem Aspekt der sozialen Kontrolle zunächst in einen kunterbunten, doch nur begrenzt witzigen Schilderwald des Wohlverhaltens ein, dessen Spektrum von der Stehpinkelwarnung in der Wohngemeinschaft bis zum amtlich-plakatierten Burka-Verbot in Italien und von der gewöhnlichen Hausordnung bis zur Judendiskriminierung (»Eintritt für Hunde und Juden verboten«) reicht. Auch Zeugnisse der Denunziation und der öffentlichen Ächtung abweichenden Verhaltens gehören zu diesem exzessiv, aber gewiss nicht exklusiv im Nazi-Deutschland kultivierten Bereich. Der Mann, der die Gestapo auf eine versteckte Jüdin in seinem Haus hinwies, wohnt gewiss in derselben Straße wie der Berliner Zeitgenosse, der die Behörden in den 90ern über aidsverdächtige homosexuelle Nachbarn aufklärte.

Die Technik nimmt den Hauptteil der Schau ein, ist aber optisch dort am reizvollsten, wo sie das Frühstadium der Entwicklung dokumentiert, etwa mit der in einer Gießkanne verborgene Kamera aus der DDR oder dem so genannten Bedampfer zur Öffnung von Briefen. Wie heute jeder ohne Aufwand mit Miniaturmikros und –linsen seine Umwelt überwachen respektive bespannen kann, weckt die Phantasie wohl kaum minder wie das Erschrecken. Doch auch auf die Idee eines »EyeSee-Mannequins« muss man erst mal kommen, eine Schaufensterpuppe, die via Linse und angekoppelter Software ihre Betrachter nach Alter, Geschlecht und Status taxieren kann und in Italien wohl schon angewendet wird. Auf den neuesten Stand über sich selbst bringt den Besucher die (aus Datenschutzgründen nur einzeln) begehbare Installation »Memopol2« des estnischen Künstlers Timo Toots. Sie verrät ihm nach dem Scan des Ausweises nicht nur, was die Welt bereits über sein Privatleben, seinen Beruf und seine intelligiblen Fähigkeiten weiß, sondern – ups! – auch, an welchem Tag er nach aller Datenvoraussicht stirbt.

Im Bereich der fortgeschrittenen Technik treten die Informationen in den Vordergrund. Echte Hingucker sind schließlich weder die Abhörwanze oder Mikrokamera noch der so genannte Biegekoppler, mit dem man doppelarmdicke Glasfaserkabel auslesen kann, auch wenn man erfährt, dass die National Security locker 30 Millionen elektronische Kontakte täglich damit kontrollieren kann. Da gefällt uns eine andere künstlerische Arbeit viel besser. Der US-Amerikaner Jeff Deson hat in einer filmischen Collage die Gebäudefronten aus Hitchcocks »Fenster zum Hof« zu einem Komplex montiert und macht uns durch deren Fenster mit all den tollen Filmszenen zu Voyeuren – und Augenzeugen eines Mords.

Lorenz Gatt
Bis 23. Februar 2014; Di. bis Fr. 9–18 Uhr; Sa., So. 11–19 Uhr

Podiumsdiskussion: »Freiheit vs. Sicherheit. Big Brother und die Grenzen staatlicher Kontrolle«

mit Günter Wallraff, Erich Schmidt-Eenboom (Publizist), Bernd Carstensen (BDK) und Dirk Emig (HR).
Do. 28.11.2013, 19 Uhr, Einstritt: 6 €

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