Monika Reicherts »Erinnerungen einer Gastgeberin«

Nudeln gehen immer

Noch aus Freiburg kündigte er seinen Besuch an. Paul Celan, er hatte Heidegger besucht und wollte nun den Reicherts von dieser Begegnung berichten. Die waren entsetzt. Sie kannten und missbilligten Celans befremdliche Verehrung für den Nazi-affinen Meisterdenker und sie kannten den schwierigen Gast. Darum baten sie die Dichterin Marie Luise Kaschnitz und Urs Widmer mit Frau zu Hilfe. Beim Essen steigerte sich Celan in einen wahren Hymnus auf Heidegger hinein, in den er sogar dessen Frau mit einbezog. Worauf, trocken und ungerührt, die Kaschnitz einwarf: »Wir haben sie damals schon (in den 30er Jahren in Freiburg) die Martinsgans genannt.«
Bei diesem  Essen gab es übrigens eine Lauch-Kartoffelsuppe, und, wie immer, hinreichend zu trinken. Wenn nichts im Haus war, gab es Nudeln, denn haushalten mussten die Reicherts damals schon, egal wie berühmt oder auch bedürftig die Gäste waren: John Cage, Robert Creeley, Peter Szondi und Oswald Wiener, Norbert Elias, Wolfgang Hildesheimer und, oft ohne festen Wohnsitz, der reisende Dichter H.C. Artmann, Oskar Pastior usw., usw. Dazu später weltberühmte Wissenschaftler wie Natalie Davis, die wegen einer Wespe gleich wieder „zurück in die Staaten“ wollte, Stephen Greenblatt und Carlo Ginzburg.
Klaus Reichert, einst Suhrkamp-Lektor (1968 einer »Rebellen«), dann Anglist an der Frankfurter Universität, Herausgeber von Joyce und Virginia Woolf, Übersetzer, langjähriger Präsident der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung,  aber vor allem so etwas wie ein Universalgelehrter, kannte und kennt Gott und die Welt. Zumindest die Welt hat Monika Reichert bei sich bewirtet. Die Erinnerungen daran hat sie jetzt aufgeschrieben. Dabei ist ein Rezeptbuch entstanden, das sich als eine vergnügliche Kulturgeschichte der Klassischen Moderne lesen lässt.

Sigrid Lüdke-Haertel
Monika Reichert: Auch Joyce saß mit am Tisch oder das Lämpchen im Eisschrank
Aus den Erinnerungen einer Gastgeberin
Frankfurt am Main: Verlag Waldemar Kramer, 2014, 245 S., 20 €

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