MfK: »Jukebox.Jukebox – ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl«

Von Benny Goodman bis Bad Religion

Der in den Lautsprechertrichter eines Grammophons lauschende Terrier-Mischling Nipper ist weltbekannt: als Marken-Emblem der 1893 gegründeten Grammophon Company, zu der (ab 1898) auch die Deutsche Grammophon gehörte. Nipper hatte der britische Maler Francis Barrault nach dem Tod seines Bruders Marc zu sich genommen. Marcs auf einer Schallplatte verewigte Stimme hat den sein Herrchen hörenden Hund derart gebannt, dass Barrault die Szene zum Sujet seiner berühmtesten Arbeit machte. Sein Versuch, das Bild der Company von Thomas Edison in London anzudienen, scheiterte, während die Grammophon-Tochter in London es für 100 Dollar übernahm.
Das in einer Vitrine vor dem Eingang zur Schau »Jukebox. Jewkbox« nachgestellte Bild des Briten stimmt die Besucher auf »ein jüdisches Jahrhundert in Schellack und Vinyl« im Museum für Kommunikation ein. Gründer der Grammophon Company in den USA war der 1870 von Hannover ausgewanderte deutsche Jude Emil Berliner, der 1887 die Schallplatte erfand. Sein Bruder Josef führte die Deutsche Grammophon. Auch die großen Labels  Odeon und Columbia Records standen unter jüdischer Leitung.
Der starke jüdische Einfluss im Genre des neuen Mediums ist von Beginn an auch auf der künstlerischen Seite zu beobachten. Zahlreiche jüdische Komponisten und Interpreten prägen die Anfänge der Populär-Kultur. Nach Meinung des Ausstellungskurators und Leiters des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Löwy, spiegelt sich im starken jüdischen Engagement auch eine Abwendung von Riten und Religion – das, was Psychologen wohl Sublimierung nennen würden. Viele der jüdischen Künstler seien in Folge der großen Fluchtwellen aus Osteuropa im frühen 20. Jahrhundert in den USA gelandet. Ihre Hinwendung zur Popkultur sei auch als Folge eines seiner Wurzeln und Traditionen verlustig gegangenen Glaubens zu lesen. Tatsächlich seien viele der ersten großen Schellack-Stars Söhne von Kantoristen der Synagogen, so die Sänger Al Jolson und Kurt Schmidt oder die Komponisten Irving Berlin  und Kurt Weill.
Der Ausstellungsraum im ersten Stock des MfK ist einem Plattenladen nachempfunden mit einem Tresen im Zentrum, an dem man sich auf Hockern über Kopfhörer eine Vielzahl von Musiktiteln anhören kann, aber auch Berichte von jüdischen Menschen aus aller Welt über ihre Lieblingsschallplatten. Rundum an den Wänden hängen in thematischer Ordnung knapp 500 Plattencover jedweder Musikrichtung: von Psalmen und klassischer Musik über Folk und Musical bis hin zu Pop, Punk und Comedy. Neben Stars wie Dylan, Barbra Streisand, Amy Winehouse oder Woody Allen werden hier auch Vertreter der Punkbewegung fokussiert, die sich exzessiv mit Holocaust und Nazitum auseinandersetzte. Jüdische Wurzeln haben nicht nur The Clash und  Bad Religion oder die sich nach Hitlers Schäferhund – und nicht etwa ihrer Haarfarbe – benennende Sängerin Blondie.
Dem wieder in Mode kommenden haptischen Erlebnis der Schallplatte ergeben, bleibt die CD-Phase der Pop-Kultur ausgespart – zu Lasten der Fans von Künstlern wie John Zorn. Immerhin sind auf kleinen Bildschirmen in einer Lounge auch Youtube-Clips populärer jüdischer Songinterpretationen etwa des »Fiddler on the Roof« zu sehen. Ein Gegenentwurf dazu ist die Musikbox im Raum, die mit 50-Cent-Stücken zu bedienen ist und 120 Titel bereit hält. Nach Hohenems und München ist Frankfurt die dritte Station der Schau.

gt (Foto: Werbefigur Nipper
© Jüdisches  Museum Hohenems)
Bis 29. Mai: Di. bis Fr. 9 – 18 Uhr; Sa., So. 11 – 18 Uhr
www.mfk-frankfurt.de

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