»Meine Brüder und Schwestern im Norden« von Sung-Hyung Cho

Nur sehr, sehr anders

Von allen fernen Ländern dieser Welt ist dies wohl eines der fernsten: Nord-Korea. Auch wenn man dorthin kommt, gelingt es kaum jemanden, irgendetwas hinter den Inszenierungen, hinter der gewaltigen Maske, hinter den Militärparaden und den Propagandabildern, dem Personenkult und den brav jubelnden Kindern zu sehen. Da sind Raketen und ein Atomwaffenprogramm, und da sind Nachrichten von Hunger und Mangel. Frisch in Erinnerung die bizarre Einladung westlicher Journalisten zum Parteitag, die dann doch vom eigentlichen Geschehen ausgeschlossen waren. Und da ist diese rigorose Grenze, die Familien und Geschichten voneinander trennt.
Fremdheit auch zwischen zwei Ländern mit gemeinsamer Sprache, gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Kultur. Nord-Korea und Süd-Korea, das ist wie ein Symbol für eine auseinander gebrochene Welt.

Auch die aus Süd-Korea stammende Frankfurter Filmemacherin Sung-Hyung Cho kommt in dieses Land nur, weil sie einen deutschen Pass hat. In einer sehr eigenen Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit. Und auch sie soll nichts anderes sehen als die große Maske, das Schauspiel, soll nur mit ausgewählten Menschen sprechen, den Soldatinnen, Bauern, Arbeitern und Künstlern. Aber vielleicht ist es so, dass auch eine Maske etwas von ihrem Inneren preisgibt, wenn man sie nur genau und geduldig ansieht. Und auf diese Kunst versteht sich Sung-Hyung Cho.

Was wir zuerst sehen: Es ist ein schönes Land. Und darin leben weder Roboter noch Aliens, sondern Menschen, die kleine Träume und Hoffnungen haben, die sich Vergnügungen gönnen und sich Sorgen machen, wie überall. Und doch verschwindet das andere nicht, dieses Verhalten der Leute in einem Land, das sich nicht nur als letztes sozialistisches in der Welt mit einem über drei Generationen reichenden Personenkult zeigt, zwischen Grauen und Karikatur, von uns aus gesehen, sondern in seiner Isolation auch wie ein sonderbares Menschenexperiment erscheint. Wie viel von einem Menschen kann »verstaatlicht« werden? Wie wird aus einem Personenkult-Sozialismus eine eigenartige, fundamentalistische Religion? Und was macht eine rigide Militär-zuerst-Politik mit zehnjährigen Pflichtdiensten für Männer und Frauen mit Personen und Biographien?

Sung-Hyung Cho unternimmt also eine Reise an drei sehr unterschiedliche Orte, die Hauptstadt Pyöngjang, die Provinz Sariwon und die Hafenstadt Wonsan. Sie besucht Einrichtungen wie eine Textilfabrik, die internationale Fußballschule oder  das landwirtschaftliche Kollektiv, erfährt etwas über Berufe wie den Automatisierungsingenieur in einem Wasser-Vergnügungspark, einen Maler, dessen Hauptmotiv werktätige Frauen sind, die schön und jung sein sollen (weshalb er sich auch als Vertreter des »Schönismus« versteht), einen Traktorfahrer und eine Näherin, die davon träumt, »Entwerferin« zu werden. Und sie wird von Familien aufgenommen, wie zum Beispiel die des Ingenieurs, der mit seiner Schwester, der Offizierin, und der strengen Großmutter zusammen in der Hauptstadt lebt.

Vielleicht ist ja gerade diese Großmutter ein Schlüssel zum Verständnis der nordkoreanischen Gesellschaft. Während man bei den jüngeren noch stets eine Bruchlinie zwischen der privaten und der politischen Person zu erahnen meint, ist bei ihr offenbar Gehorsam und Opferbereitschaft gegenüber dem Regime in Fleisch und Blut übergegangen. Und hier mag sich eine biographische und familiäre Verbindung zeigen zwischen den traumatischen Erfahrungen der japanischen Besetzung einst und der bedingungslosen Identifikation mit dem Staat und dem »großen Führer« noch heute. Aber das ist nur eine von vielen Fährten, nur eine von vielen Schnittstellen zwischen der äußeren Inszenierung und dem inneren Zustand dieser Gesellschaft, die letztlich doch wieder, wenn man nur genau hinsieht, aus einzelnen, unverwechselbaren Menschen besteht. Und ja, es mag verwirren, denn auch wir haben ja durchaus klischeehafte Bilder im Kopf: Hinter den Inszenierungen und der Propaganda ist nicht nur Tristesse und Unterdrückung zu sehen, sondern auch Glück und Stolz. Ganz nahe beieinander liegen die Momente, wo man die Menschen hier beinahe beneiden möchte (Obschon: »Es gibt keinen Grund zum Neid«, lautet eine der ausgegebenen Parolen.), und die Momente, wo man erschrecken mag über den andauernden Druck auf Gehorsam und Leistung. Hier ist das Leben weder besser noch schlechter. Nur sehr, sehr anders.

Denn Sung-Hyung Cho wertet nicht und macht uns auch nicht vor, den großen Blick »hinter die Kulissen« getan zu haben. Unvoreingenommenheit und dezente Zärtlichkeit bestimmen ihre Reise, und dazu gehört, dass ein Rest der Fremdheit bleibt. Sie teilt allerdings mit den Menschen, die sie besucht, eine unbestimmte Sehnsucht nach der verlorenen Einheit dieses durchaus auch zauberhaften Landes. Nicht umsonst nennt sie »Meine Brüder und Schwestern im Norden« im Untertitel einen »Heimatfilm«.

Georg Seeßlen

 

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MEINE BRÜDER UND SCHWESTERN IM NORDEN (Meine Brüder und Schwestern im Norden)
von Sung-Hyung Cho, D 2016, 106 Min.
Dokumentarfilm
Start: 14.07.2016

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