Manchette, Declan Burke und La Frontera

3_Pablo-Llana-am-Grenzzaun-in-Playas-de-Tijuana_(c)-Stefan-FalkeKunst an den Grenzen

Er war eine Größe im Kriminalroman, gilt als Vater des »neo-polar«, ist heutigen Lesern vermutlich eher unbekannt: Jean-Patrick Manchette (1942–1995), Autor von Romanen, die man unter der Bezeichnung »Roman noir« findet, und von zahlreichen Drehbüchern, Jazzliebhaber, Übersetzer von Ross Thomas und Donald E. Westlake, zudem ein wichtiger Literatur- und Filmkritiker.
»Laßt die Kadaver bräunen!« (1971), »Rette deine Haut, Killer – die Affäre N‘Gustro« (1971), »Nada« (1972), »Killer stellen sich nicht vor« (1976), »Blutprinzessin« (1996) sind einige Manchette-Titel. Für Dominique Manotti zählen sein »Westküstenblues« (1976) und »Position: Anschlag liegend« (1982) zu den großen Romanen der französischen Literatur. »Nach Manchette«, betont sie, »konnte man nicht mehr schreiben, als habe es ihn nicht gegeben«. Mit diesem Satz beschließt Manotti ihr Nachwort in einem Band, der alle Aufmerksamkeit verdient. Wer sich über ein einfaches Schmökern hinaus für Kriminalliteratur interessiert, dem sei  der ganz in Schwarz gehaltene Band »Portrait in Noir« von Jean-Patrick Manchette angeraten. Großzügig ausgestattet und sorgfältig betreut, herausgegeben von Manchettes Sohn Doug Headline, ist er im Alexander Verlag, Berlin, erschienen, der auch die Romane von Ross Thomas in einer begeisternd sorgfältigen Neuedition herausbringt.
Es ist ein Sammler- und Schmuckstück, ein Kompendium wichtiger Texte zur Kriminalliteratur und interessanter Filmkritiken. Eine Fundgrube. »Ein guter Roman noir ist ein Gesellschaftsroman, oder genauer: ein gesellschaftskritischer Roman, der Kriminalgeschichten erzählt, aber zugleich ein Portrait der Gesellschaft – oder eines bestimmten Teils der Gesellschaft – an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit entwirft«, befand Manchette 1993. Köstlich seine »45 unverwüstlichen Gemeinplätze über den Roman noir«, in den Filmtexten kommt eine große Bewunderung für Rainer Werner Fassbinder zum Ausdruck. Manchette als Kritiker drückt sich nicht vor Urteilen, ihm geht es um die Sache. »Die meisten Bücher sind dämlich, besonders heute, wo sie wie Toilettenseifen auf den Markt geworfen werden«, schrieb er 1994 in einem Brief.

Grenzüberschreitung aus Irland

Verbrechen lohnt sich immer, so heißt übersetzt der Blog von Declan Burke, in dem der irische Autor, Herausgeber, Journalist und Tausendsassa seit 2007 über die irische Kriminalliteratur mit Blick über den Tellerrand  schreibt. »Crime Always Pays«, das gilt auch für Declan Burkes Leser. Mit dem das Genre sprengenden, frechen und witzigen »Absolut Zero Cool«, erschienen im kleinen-feinen Nautilus-Verlag aus Hamburg, ist er jetzt auch einem deutschen Publikum zugänglich – und Declan Burke kommt ins Rhein-Main-Gebiet: Zusammen mit seinem Übersetzer Robert Brack wird er am 14. November in der KULT-Kinobar Bad Soden lesen. (Siehe den Kasten auf dieser Seite.)
Declan Burke hat bisher vier Kriminalromane vorgelegt, mit jedem geht er einen anderen Weg, er schreibt nicht nach einem Muster. »Absolut Zero Cool« ist sein extravagantestes Buch. »Erwarte das Unerwartete«, sagt er dazu. Noch nicht übersetzt sind »Eightball Boogie« (2003), »The Big O« (2007) und »Slaughter’s Hound« (2012). Als Taschenbuch erschienen ist mittlerweile sein gemeinsam mit John Connolly herausgegebenes »Books to Die For«, für mich die schönste Krimianthologie überhaupt. Bücher, für die man sterben kann – darüber schreiben an die 100 Autoren, geben Geheimnisse und Vorlieben preis, erzählen vom Handwerk und dem gewissen Etwas, das große Kriminalromane ausmacht. Ein Buch zum Niederknien. Mehr als informativ ist auch der Sammelband »Down These Green Streets. Irish Crime Writing in the Twenty-First-Century«. Declan Burke kennt und liebt das Genre. In seinem Blog »Crime Always Pays« entsteht das Bild einer vielfältigen, äußerst lebendigen irischen Krimiszene mit einem vorbildlich kollegial-kritischen Umgang untereinander. Der irische Kriminalroman lebt, längst nicht alle Autoren sind bei uns bekannt.
Unbekannt sind gewiss auch viele der Künstler, die ein außergewöhnlicher Fotoband versammelt. Es ist ein Paukenschlag, mit dem ein noch junger Frankfurter Verlag die Bühne betritt. Der in mehrfacher Hinsicht gewichtige Fotoband »La Frontera. Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler« begann bereits nach wenigen Seiten, mich zu überzeugen und zu begeistern. Wer jenseits aller Floskeln, mit denen Politiker gerne am Sonntag davon reden, nach Anschauung für die gesellschaftliche Kraft und Notwendigkeit von Kunst sucht, wird in diesem fulminanten Band der Edition Faust aus der Frankfurter Grillparzer Straße vielfältig fündig werden.
3.144 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko, zwischen Arm und Reich, Hoffnung und grausamer Realität. Der Fotograf Stefan Falke, in Paderborn geboren und in New York sesshaft geworden, hat diese Grenze mehrere Jahre lang immer wieder bereist, dabei Augen und Ohren und Sinne offen gehalten. In »La Frontera«, das es auch als Ausstellungsprojekt gibt (bisher Washington D.C., Tijuana, Frankfurt, McAllen/Texas, und Südkalifornien), versammelt er an die 200 Porträts von Künstlern entlang des Zauns, hat sie auf eine niemals ermüdende Art fotografiert.
Falke porträtiert Maler, Wandmaler, Fotografen, Bildhauer, Tänzerinnen und Tänzer, Musiker, Performance- und Graffitikünstler, Kuratoren, Dokumentarfilmer und Videoakteure, Glasbläser, Dichter, Galeristen, DJs, Verleger, Weber und Künstlerkollektive – dies meist in einem spannenden, mal heiter-ironischen, mal abgründigen Bezug zum Grenzzaun. Falke hatte sich gesagt, »als es gegen 2007 losging mit den furchtbaren Nachrichten über die Drogenkriege: Das kann doch nicht wahr sein. Millionen von Menschen leben im mexikanischen Grenzland. Es kann sich doch nicht nur um Drogendealer, Frauenmörder, Schießwütige oder Abhängige handeln.« Er traf – den Widerstand. Und zwar den kreativen. Die Gesellschaftskraft Kultur in mannigfacher Gestalt.

Alf Mayer, Foto:Stefan Falke
Declan Burke: Absolute Zero Cool. Kriminalroman. Aus dem irischen Englisch von Robert Brack. Hamburg: Nautilus Verlag, 2014. Broschur, 320 S., 18 €.

Jean-Patrick Manchette, Doug Headline: Portrait in Noir. Aus dem Französischen von Leopold Federmair. Berlin: Alexander Verlag, 2014. 256 S., Banderole und Farbschnitt, Hardcover. 254 S., 28 €.

Stefan Falke: La Frontera – Die mexikanisch-US-amerikanische Grenze und ihre Künstler. Ein Bildband mit Fotografien von Stefan Falke und literarischen Texten. Frankfurt: Edition Faust, 2014, 232 S., durchgehend farbig, über 200 Fotos. 240 × 280 mm, gebunden. Deutsch/spanisch, 38 €

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