MAK: »Yokohama 1868 bis 1912. Als die Bilder das Leuchten lernten«

Wie die Fotografie den Holzschnitt verdrängte

Mehr als 250 Jahre Frieden bescherte die mit der weitgehenden Isolation des Landes verbundene Edo-Zeit (1603 –1868) den Japanern. Die nach der Hauptstadt, dem heutigen Tokio, benannte Epoche endete unter militärischem Druck der USA, die 1853 mit Kriegsschiffen aufliefen. Der so erzwungenen wirtschaftlichen Öffnung folgte die beispiellose Industrialisierung des Landes, ein von Kriegen begleitetes Kopfüber in die Moderne unter der restaurierten kaiserlichen Herrschaft der Meji. (1868-1912).
Das Museum Angewandte Kunst verfolgt diesen Prozess in der Ausstellung »Yokohama, als die Bilder leuchten lernten« am Beispiel der Verdrängung der traditionellen japanischen Farbholzschnitt-Malerei (»Ukiyo-e«) durch die Fotografie in Yokohama, einem Fischerdorf 30 Kilometer vor Tokio, das in wenigen Jahren zur internationalsten Stadt des Landes avancierte. Es ist ein Wandel, der sich auch in den Motiven der beiden Kunstsparten spiegelt, wobei in der Fotografie das verzauberte europäische Auge und sein von Klischees geleiteter Blick auf das Land dominiert, während der Farbholzschnitt fast politische Tageskommentare setzt. Dazu muss man wissen, dass ein Holzschnitt nicht mehr als eine Suppe kostete, Fotografien dagegen acht Mal so viel.
Rund 270 Exponate dokumentieren im ersten Stock des MAK in 19 Abteilungen die von gegenseitiger Neugier bestimmte Entwicklung. Japans Interesse am technischen Fortschritt ging einher mit einer von der Fernostexotik beflügelten Japan-Begeisterung in Europa. Auf den Holzschnitten werden nicht nur neue Verkehrsmittel wie Eisenbahn und Dampfschiff, westliche Kleidung und Essgewohnheiten bestaunt, manchmal auch belächelt. Wenn es um verderbliche Sitten wie das selbstherrliche Auftreten der Europäer etwa in Freuden- oder auch Teehäusern geht oder gar um nationale Konflikte, dann erzählen die kleinen Tafeln mitunter aber auch von unverhüllter Distanz zu den Fremden oder gar von Hass. Wie jene, die sich auf eine Mordwelle in den 60ern gegen Europäer beziehen. Auch der Chauvinismus kommt nicht zu kurz, wenn ein Sumo-Kämpfer in Handumdrehen einen als stärksten Mann der Welt  gehandelten Franzosen mühelos aufs Kreuz legt, und schlägt in offenen Rassismus um in der Kommentierung der siegreichen Kriege gegen China (1895) und Russland (1905).
Die Begeisterung für die westlichen Neuheiten und Erfindungen erfährt die Fotografie selbst aber nicht ungeteilt, glaubte man doch, dass das persönliche Abbild an der Lebenskraft des Porträtierten zehrt. Ein Großteil der Frauenporträts, die in Europa rasenden Absatz fanden, setzt japanische Prostituierte in gewünschte Pose. Das neue Medium Fotografie bedient vor allem schöngefärbte Klischees über  Japan, was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Viele beschäftigungslos gewordene Holzschnitt-Künstler hätten sich nun als Kolorierer verdingt, ist zu erfahren. Gewürdigt wird auf der informativen Ausstellung aber auch das Werk Felice Beato, der schon 1860 ein Fotostudio in Yokohama eröffnete. Er prägte mit seinen Porträts und Landschaftsaufnahmen nicht nur das Japanbild hierzulande, sondern gilt auch als Vater der japanischen Kunstfotografie.

Lorenz Gatt (Foto: © MAK)
Bis 29. Januar: Di., Do.–So. 10–18 Uhr, Mi. 10–20 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

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