MAK läutet mit »Sense of Doubt. Wider das Vergessen« die B3-Biennale ein

Foto: Lucharemos Hasta Anular la Ley, 2004, Video, 10’ 04”, Spanisch mit englischen Untertiteln, Sebastian Diaz Morales, geb. 1975 in Argentinien, lebt in Amsterdam
© 2015 für die Videoabbildungen bei Associação Cultural Videobrasil


Kunst und Kommerz in Rhein-Main

Vom 7. bis zum 11. Oktober steht Frankfurt im Zeichen der »B3 – Biennale des bewegten Bildes«. Es ist die zweite Ausgabe der multimedialen Schau. Bei der Präsentation des beeindruckenden Programms drängt sich dem Chronisten wie aus dem Nichts der Gedanke an das Lichterfest »Luminale« auf. Bei der Leistungsschau der Messe »Light + Building« tritt trotz ihrer künstlerischen Ambitionen der ökonomische Kontext offen zutage. Bei der B3 tut er das eher versteckt.
Da werden zwar aus dem Heer von 150 Künstlern und Medienschaffenden Stars wie Brian Eno, der  den Ehrenpreis BEN für sein Lebenswerk empfangen soll, und Laurie Anderson, die als seine Vorgängerin ihren gerade im Venedig gefeierten Film »Heart of a Dog« mitbringt, als Leuchttürme gepriesen und eine »wilden Ehe zwischen Kunst und Technik« konstatiert. Doch in der euphorischen Ansage des Offenbacher Hochschulchefs Bernd Kracke als künstlerischem Leiter des an 20 Standorten ausgebreiteten Mega-Events ist die ökonomische Verwertbarkeit der transmedialen Medientechnik von unübersehbarer Relevanz.
Künstler, Wissenschaftler, Games-Entwickler, Designer und Internetspezialisten geben sich die digitale Hand, auch um die Märkte zu sondieren. Die gute Million Euro, mit der Boris Rheins Ministerium die B3 unterstützt, kommt nicht von ungefähr. In 30 Jahren werde selbst die Fußballnationalmannschaft gegen eine Roboterauswahl keine Chance mehr haben, prophezeit Kracke, und wesentlich früher werde sich der Reiseplaner im virtuellen Echtblick und mit allen (ausgeweiteten) Sinnen von den Konditionen seiner Urlaubsdestination oder des Hotels überzeugen lassen können. Schon heute sei jedes Unternehmen notwendig auch ein Medienunternehmen, führt er mit Hinweis auf »B3 Campus/Markt« fort, eines der drei Module der Schau, das etwa Studierenden unter vielem anderen erste Geschäftskontakte zu Start-ups und etablierten Unternehmen eröffne. »Expanded Senses. Mit allen Sinnen erleben und Grenzen verschieben« titelt das Megatreffen in der Mainmetropole übrigens.

Mit der Ausstellung »Sense of Doubt – Wider das Vergessen« webt das Museum Angewandte Kunst schon jetzt am künstlerischen Umhang der Schau. Bis zum 14. Oktober wird auf dem Gartengelände zwischen dem Richard-Meier-Haus und der benachbarten Metzler-Villa bei freiem Eintritt in 18 Kleincontainern Videokunst zu historischen Ereignissen aus einer Perspektive präsentiert, die man im Sinne des Historikers Eric Hobsbawn als »Geschichte von unten« bezeichnen kann. Der Marx’schen Diktion folgend, dass die herrschende Sicht der Dinge immer auch die Sicht der Herrschenden ist, wird in den bewusst gewählten Behältnissen um das eigene Recht auf die Deutung der Vergangenheit gestritten.
Dem Projekt zugrunde liegt die Kooperation eines Wissenschaftlergremiums der Goethe-Uni mit der »Associao Cultural Videobrasil«, von der alle in den Containern gezeigte Arbeiten internationaler Künstler stammen. In den mit einem Vorhang abschließbaren und einer Sitzbank ausgestatteten Kabinen sind die Beiträge jeweils nur von drei bis vier Leuten zu sehen. Dazu liegen erläuternde Kommentare der beteiligten deutschen Wissenschaftler als ein Diskursangebot zum Lesen aus. Neben konkreten Geschehnissen wie dem 11. September 2001 in New York, des Massakers auf dem Tian’anmen am 3. und 4. Juni 1989 in Peking oder dem Putsch in Chile am 11. September 1973 werden auch Themen wie die Fluchtbewegung in Europa oder der Libanonkonflikt behandelt. Oder die Entdeckung Brasiliens, wie sie die aus Belo Horizonte stammenden Künstlerin Rosanga Renúo in ihrem »(un)möglichen Film Vera Cruz« fasst. Dieser bezieht sich auf das Schreiben des Entdeckers Pero Vaz de Caminha an den portugiesischen König im Jahr 1500, dem offiziellen Zeugnis der Staatsgründung. Ein mit Kratzern verschrammter, unkenntlicher Streifen und verschlissene Sprachgeräusche werden von Wind und Wellen übertönt und mit rudimentären Dialogen untertitelt wie sie nach der Landung  der Eroberer mit den Eingeborenen geführt worden sein könnten.
Von dem Marokkaner Bouchra Khalili stammt die Arbeit »Mapping Journey #1«. Ein algerischer Fischer schildert hier seine Bootspassage über Sardinien, Mailand und Paris nach Marseille. Das Video zeigt eine Hand, die mit einem Stift gereiste Linien auf einer Landkarte  zieht. Günter Frankenberg, Professor des öffentlichen Rechts, konstatiert dazu: »Vom Preis der Migration macht sich Recht keinen Begriff. Territorial grundiert, sind Grenzen seine Domäne. Für mehr, das Schicksal der Migranten auf Arbeitssuche etwa, fehlen dem Recht national wie suprantional, Empathie und geografische Phantasie.«
Weitere Beiträge des MAK werden die Ausstellung »Mode bewegt Bild. Der Fashion-Film-Effekt« und die wiederentdeckten Frankfurter Arbeiten von Brian Eno sein, die  rund 30 Jahre in den Archiven des Hauses lagerten.
Lorenz Gatt

Bis 14. Oktober 2014, Di., Do. – So. 10 – 18 Uhr; Mi. 10 – 20 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

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