MAK: »Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Grafik«

Stadt unter Druck

Mit der Typografie ist es wie mit vielem: Man nimmt sie im Alltag erst wahr, wenn sie sich verändert. Als die FAZ vor gut zehn Jahren aus Gründen der Lesbarkeit die Frakturschrift aus den Überschriften ihrer Kommentare verbannte, war das für den erzkonservativen Teil ihrer Leserschaft ein untrügliches Zeichen für politischen Verrat der Redaktion.
Der politische Blick auf den Wandel der Schriften dürfte für Nichtexperten der lohnendste bei einem Besuch der Ausstellung des »Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Neue Grafik in Frankfurt am Main« im Museum Angewandte Kunst sein. Mit ihm erhellt sich eine Epoche der Stadtgeschichte, in der – kaum mehr heute vorstellbar – drängende soziale Aufgaben mit zukunftsweisenden gesellschaftspolitischen Ideen in Angriff genommen wurden. Das von Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1924 bis 1933) angestrengte Projekt »Neues Frankfurt« ging weit über die bloße Baulösung von Wohnungsfragen hinaus, wie sie aktuell wieder ›en vogue‹ scheint. Vielmehr stand es durch die Verpflichtung von Ernst May zum Stadtbaurat und von jungen Architekten und Gestaltern wie Ferdinand Kramer für die egalitäre, von der Funktionalität geprägte Neue Sachlichkeit. Die »bodenständige Verwirklichung des Bauhausgedankens«, wie es dazu im MAK heißt, verhieß der Stadt einen visionären Pragmatismus, der sich auf vielen Ebenen spürbar machte. Die Arbeiten und Ideen der Typografen und Designer, die daran mitwirkten, bilden den Sockel dieser Schau.  
Eines ihrer prominentesten Produkte ist die von dem an der Frankfurter Kunstgewerbeschule lehrenden Typografen Paul Renner entwickelte »Futura«, die bis heute – unterbrochen durch die Nazi-Zeit – die Amtschreiben Frankfurts prägt. Die nüchterne Schrift stand schließlich für die Nüchternheit in der Sache. Mit einer Reklame-Ordnung wollte das Neue Frankfurt damals sogar die Verwendung von Bildern und damit der suggestiven Beeinflussung aus der öffentlichen Werbung verbannen und nur noch informative Texte erlauben. Doch scheiterte dieser Vorstoß des Verkehrsplaners Walter Drexel an der Zustimmung des Magistrats. Dafür gelang es den Neuerern wenigstens für einige Zeit, dem historischen Adler im Wappen der Stadt die Federn zu rupfen. Hans Leistikow schuf, von Ernst May dazu berufen, einen von den politischen Gegnern zum »Hüpfspatz« erklärten stilisierten Vogel, der auf den Briefbögen der Mainmetropole lange zum Einsatz kam. Die Nazis haben das Emblem aus Spargründen, weil es so viel davon gab, noch bis 1936 verwendet, als die meisten der geistigen Väter des Neuen Frankfurts längst geflüchtet waren.
Plakate, Buchdrucke und viele Bilder dokumentieren vor allem die Aufbruchsjahre der Landmann-Ära. Doch wird das typografische Geschehen in dieser Stadt bis zu den aktuellen computergestützten Produktionen wie von »pixelgarten« oder »saas-fee« bis hin zu Chris Rehberger, der die 2009er Kampagne des Frankfurter Schauspiels prägte, nicht minder bildträchtig und informativ dokumentiert.

Lorenz Gatt (© Nachlass Lieselotte Müller)
Bis 21. August 2016: Di.–So. 10–18 Uhr; Mi. bis 20 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert