Maintheater: Fräulein Julie

Maintheater: Fräulein Julie (Foto: M. Fleischer)Entgleisung auf Augenhöhe

In der Brotfabrik zeigt das Maintheater ein kämpferisches »Fräulein Julie«

Zehn Seiten lang lässt sich August Strindberg in einem Vorwort zu seinem Drama »Fräulein Julie« über die verschiedenen Motive aus, die ihn anno 1888 beim Schreiben beschäftigt haben. Sie reichen von frühkindlichen Traumata bis zur historischen Zeitenwende, von familialen Mesalliancen über gesellschaftliche Rollenzwänge bis hin zur Klassenfrage und erklären, weshalb die verhängnisvolle lüsterne Begegnung des Dieners Jean und der jungen Adligen Julie in der Johannisnacht immer wieder gespielt wird auf den Bühnen. Sie hat für jeden etwas.

In Mainz hat der Regisseur Robert Borgmann vor zwei Jahren (Strandgut 04/2011) dazu die Bühne opernüppig monströs bis unters hohe Dach bespielt. In der Hausener Brotfabrik genügen zwei glanzlackschwarz bespannte Tische, den kargen Spielort einer Gesindeküche zu imaginieren. Nenad Smigoc, der das Gastspiel des Maintheaters Frankfurt inszeniert hat, konzentriert sich auf die psychologische Dimension eines Duells – und lässt die beiden so unterschiedlich bestellten Reizfiguren machen.

Und anders als Strindberg, der wie die Studie eines Niedergangs gelesen werden kann, sehen wir zwei Protagonisten (Nele Hornburg, Viktor Vössing), die immer auf Augenhöhe bleiben. So wie der hormongetränkte Jean im instinktiven Wissen um seine Attraktivität dem Spiel seiner koketten Jung-Herrin zu begegnen weiß, so hält die gefallene Grafentochter dessen immer tumber und hohler daherkommendem Gebaren stand. Nie und nimmer wird diese im Konflikt erstarkende Frau, nur weil Jean sich nicht mehr traut, das Rasiermesser gegen sich wenden. Schließlich lässt ja auch kein Regisseur der Welt mehr zu, dass sich Ibsens Nora erschießt.

Nele Hornburg macht das überzeugend, frisch. Im luftigen Sommerkleidchen treibt ihr Fräulein sehr unaufgeregt und selbstbewusst ihr fatales Spiel mit dem Feuer, um aus dieser Loser-Partie als Gefallene im (liebestötenden?) Schlabberpulli zurück ins Match zu finden. Mit Viktor Vössing, klein und maskulin genug, um den Gernegroß zu spielen, und alt genug, den Avancen einer jungen Frau nicht widerstehen zu können, ist die Rolle des letztlich versagenden Machos freilich stark besetzt. Ein bisschen Heinz Hoenig, linkisch-rattig, ein Typ voller Komplexe mit Omnipotenz-Phantasien, der die Balance zwischen sozialem Status und Selbstverwirklichung nicht zu finden in der Lage ist. Dass der Hauptbeitrag von Manuela Koschwitz als Jeans Verlobte Kristin und Köchin darin besteht, so tief zu schlafen, dass sie vom Gebalze und Gezänke zwischen Jean und Julie nichts mitkriegt, ist keine so gute Regieidee. Immerhin waren die beiden so diskret, ihre Nummer im Nebenzimmer zu schieben.

Winnie Geipert
Brotfabrik: 14., 15., 22. September, jeweils 20 Uhr
www.fat-web.de

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