Liebieghaus: »Die große Illusion. Veristische Skulpturen«

kunst_liebieghaus_lh_presse_grosse_Illusion_MueckMit Haut, Haar und Knochen

Man kann seinen Rundgang zur Ausstellung »Die große Illusion« durchaus auf dem Frankfurter Römerberg beginnen. Und zwar mit denen, die uns dort in selten schönen historischen oder phantastischen Kostümen weismachen wollen, sie seien leblose Statuen. Mit Kunst hat die städtisch lizenzierte Darstellung gewiss nichts zu tun, nicht einmal mit Können. Aber zum Liebieghaus lässt sich ein Bogen schlagen, geht es auf der anderen Seite des Mains doch um tatsächliche Statuen und Skulpturen, die lebendig erscheinen sollen. Und darum, dass diese »große Illusion« von jeher das Maß aller Bildhauerdinge war, bevor man uns klassizistisch einbläute, Statuen hätten a) weiß, b) aus einem Material und c) idealtypisch zu sein.
In die Rolle des Aufklärers hat sich das Frankfurter Skulpturenmuseum schon öfter geschickt. Schon die Schau »Bunte Götter« (2008) räumte mit der Mär des antiken Schönheitsideals auf. Von wegen weiß, von wegen Marmor: knallbunt waren die Originale, bevor sie das Wetter wusch. Und noch bei »Zurück zur Klassik« (2012) stand zu lesen, wie hässlich die Hellenen das fahle Weiß empfunden haben. Zwar weiß man davon schon seit langem, doch will es, wie das bei Dogmen so ist, einfach nicht in die Köpfe.
»Die große Illusion« klopft mehr als 2.500 Jahre Bildhauerkunst auf die Intention der Künstler ab, die Wirklichkeit mit allen verfügbaren Mitteln nicht nur nachzuahmen, sondern regelrecht vorzutäuschen. Der programmatische Untertitel »Veristische Skulpturen und ihre Techniken« lenkt das besondere Augenmerk auf die Herstellung und das dabei verwendete Material. Dass man in frühester Zeit an Glas und Edelsteine für die Augen, Echthaar für Perücken oder Implantationen und Knochen für die Zähne verwendet, wird mit insgesamt 52 Werken aus den verschiedensten Epochen belegt, die den großen Zeitbogen von der Antike bis zur Gegenwart schlagen. Die Exponate sind nicht chronologisch, sondern nach Aspekten der Fertigung und Methoden gruppiert und über sämtliche  Ausstellungsräume des Hauses verteilt. Wie schon bei der Jeff-Koons-Schau vor zwei Jahren hat diese Anheimstellung den Effekt eines Dialogs zwischen den temporären Gästen des Hauses mit den Altvorderen der eigenen Sammlung, auch denen aus dem alten Ägypten oder denen von den Sumerern.
Auf den ersten Blick scheinen die Arbeiten der Hyperrealisten die Stars der Schau. Auf dem Plakat wirbt eine Ansicht von »Ariel II« als Model. Dabei handelt es sich um einen aus Bronze gefertigten Akt des US-Amerikaners John de Andrea, der unter dem Einsatz von Kunststoff, Echthaar und Farbe jede Unebenheit, jeden Leberfleck, jede Pore an jeder Stelle seines Modells wiedergibt, von den Rötungen der Schamlippen bis zur Kuppe des Fußnagels.
Rücksichtlich der längst etablierten Möglichkeiten der 3D-Technik stellt sich die Frage, ob uns die Arbeiten der alten Meister doch nicht mehr berühren. Der mit Wimpern aus Kupfer und einem durchdringenden Blick ausgestatte imposante »Krieger von Riace II« etwa, der – hier als Replik – aus einem in den Achtzigern gehobenen römischen Schiffwrack geborgen wurde. Oder die Johannes-Schüssel des Spaniers Torcuato Ruiz de Peral, die den Kopf des enthaupteten Täufers mit bluttriefendem Hals auf einer Tonschüssel anatomisch korrekt mit den Öffnungen der Luft- und Speiseröhre zeigt. Was den An-alphabeten des Mittelalters hier in drastischer Plastizität vorgeführt worden ist, verfehlt seine Wirkung auch heute nicht.

gt – Foto: artist and Anthony d‘Offay, London
Bis 1. März: Di.–So. 10–18 Uhr; Do. bis 21 Uhr
www.liebieghaus.de

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