»Leaning into the Wind« von Thomas Riedelsheimer

Vom Werden und Vergehen einer Kunst

Die Kunst und das Kino, das ist eine schöne, aber schwierige Beziehung. Einerseits scheint man wie füreinander geschaffen. Andererseits ist das Kino ein gefräßiges, ein kannibalisches Medium. Dann scheint es plötzlich, als wären die Kunstwerke nur für das Kino da, wie eine Kulisse, die erst durch Licht und Kamera zum Leben erweckt wird.

Andy Goldsworthy, das ist ein anderer Fall. Denn dieser britische Künstler, der mit sich selbst und in natürlicher Umgebung Kunstwerke erzeugt, die durch Zeit und Wetter auch wieder verschwinden, der mit Blättern, Ästen, Steinen wundersam poetische und bisweilen auch sehr humorvolle Gebilde erschafft, an denen man manchmal vorbei gehen kann, manchmal aber auch magisch angezogen und gefesselt wird, dieser Künstler also ist der ideale Partner für ein Zeit-Bild im Kino. Hier können wir den Kunstwerken nämlich nicht beim Sein, sondern beim Werden und beim Vergehen zuschauen.
Der Dokumentarfilmemacher Thomas Riedelsheimer hat bereits 2001 einen sehr persönlichen Film, nein, nicht über, sondern mit Andy Goldsworthy gedreht, »Rivers and Tides«, der den bezeichnenden Untertitel »Working with Time« trug. Nun, in »Leaning into the Wind«, sehen wir nicht nur im Gesicht und den Bewegungen des Künstlers, dass die Zeit vergeht, sondern erfahren es auch wieder in seiner Kunst. Er ist zweifellos bedächtiger, demütiger, seiner selbst weniger sicher geworden, aber sein großes Projekt, mit den Mitteln der Kunst in die Zeit der Natur zu gelangen, ist konsequent weiter gediehen. In sehr kleinen, poetischen Eingriffen in einem Bachlauf in Schottland ebenso wie in monumentalen Felswerken in Afrika, wo gleichsam das Negativ einer trennenden Mauer entstand. Immer wieder dient Goldsworthy auch der eigene Körper als Medium, was er hinterlässt, wenn er sich in den Regen legt, seine Hände mit roten Ulmenblättern umwickelt und in einen Wasserfall hält oder eine Menge Mohnblüten in den Wind bläst.
Riedelsheimer begleitet Goldsworthy zu sehr unterschiedlichen Kunstprojekten in aller Welt und dokumentiert dabei sowohl die handwerkliche Entstehung als auch die künstlerische und persönliche Reflexion. Ein bewegender Moment entsteht etwa, als Goldsworthy, sosehr er offensichtlich mit sich ringt, einen Eingriff in die Natur, der sich künstlerisch anbietet, schließlich doch nicht vornehmen kann, weil er eine zu große Verletzung bedeuten würde.
Wenn der erste Film eine künstlerische Methode und den Menschen vorstellt, der von ihr durchaus auch besessen ist, voller Energie und auch mit der Aggression, die Kunst manchmal braucht, so ist der zweite von einer sanften Melancholie durchzogen. Man muss lernen, mit Verlust umzugehen, und das gilt für eine Biographie, eine Familiengeschichte, ebenso wie für eine Welt, in der das Wort »Natur«, wie wir gleich am Anfang erfahren haben, seinen klaren Sinn verloren hat. Deshalb arbeitet Goldsworthy auch in der Stadt, dekoriert zum Beispiel lange, öffentliche Treppen mit einer vergänglichen Blätterspur oder hinterlässt seine Shilhouette auf dem nassen Pflaster. Nicht mehr das eingreifende Spiel steht im Vordergrund seiner Arbeiten, sondern der Versuch über den Verlust. Das Fallen, das Stolpern, das Zögern und die Geduld spielen ihre Rolle. Immer entsteht etwas, das, so vergänglich es auch ist, unvergesslich bleibt. Und Riedelsheimer gibt uns die Zeit, diesen Prozess mitzuverfolgen.
Zu erwähnen ist neben der fast schon symbiotischen Zusammenarbeit von Regisseur und Künstler auch die Musik von Fred Frith, der schon bei »Rivers and Tides« sozusagen der dritte Autor war und hier besonders sanft und zurückhaltend sehr archaische Klänge beisteuert. Wo in Goldsworthys Arbeiten die Grenzen zwischen Natur und Kunst aufgelöst werden, da lösen sich bei Frith immer wieder die Grenzen zwischen Geräusch und Musik auf).
Um den Titel »Leaning into the Wind« zu verstehen, muss man bis zum Schluss des Films warten. Zu einer einfachen, aber berückenden Handlung, in der es keinen Unterschied mehr zwischen Kunst und Leben gibt. Zum Zentrum seiner Arbeit, der fragilen Balance zwischen dem Menschen und seiner Welt. Und dann verlässt man das Kino auf eine merkwürdige Art ziemlich glücklich.

Georg Seeßlen (Foto: © Piffl)
LEANING INTO THE WIND – ANDY GOLDSWORTHY
von Thomas Riedelsheimer,
GB/D 2017, 93 Min.
Dokumentarfilm
Start: 14.12.2017

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