Le Carrés legitimer Erbe

Die Spinne von Olen SteinhauerOlen Steinhauer und seine Trilogie mit dem CIA-Agenten Milo Weaver

Er hat Albträume, wiederkehrend, wacht auf schweißnassen Kissen auf. Er ist mit seiner Tochter zusammen, redet mit ihr über den »Zauberer von OZ«, sie sind in einem Park, ein Mann gibt ihm ein Signal. Erst einer, dann sind es mehrere. Aber was bedeuten diese drei Finger, flach ans Herz gelegt? Er kann sich nicht erinnern, aber er weiß, diese Männer sagen ihm damit an, etwas zu tun, bedeuten es ihm immer drängender, denn wenn er sich dem versagt, werden weder er noch seine Tochter Stephanie den Park lebendig verlassen.
Milo Weaver war ein »Tourist«, ein quer durch die Welt geschickter CIA-Agent einer Sondereinheit mit der Lizenz zu töten. Nach dem 11. September 2011 – mit diesem Datum beginnt die Roman-Trilogie um Milo Weaver – sind die Fronten in den Kriegen der Geheimdienste noch unübersichtlicher geworden, und auch die Grenzen zwischen Brutalität und noch größerer Brutalität. Im letzten Dezember hatte Milo den Auftrag, ein 15-jähriges Mädchen aus Moldawien zu liquidieren. Das hatte er nicht übers Herz gebracht, hatte gekniffen und versucht, das Mädchen in Sicherheit zu bringen. Dabei war sie getötet worden – hätte er sie also ebenso gut selbst umbringen können?
Milo ist ein Killer, Milo ist ein Familienvater, Milo ist ein Agent mit Skrupeln, Milo ist ein moderner Geheimagent – und er ist eine Erfindung des amerikanischen Autors Olen Steinhauer. Milos Vater, ein mit allen geheimdienstlichen Wassern gewaschener Russe, ist der (im Geheimen nicht ganz machtlose) Sicherheitschef der UNO. Allein das Kapitel 3.3, in dem in Steinhauers Thriller »Die Spinne« der Aufbau dieser »Haus der guten Taten« genannten Abteilung umrissen wird, ist ein kleines Kabinettstück.
Olen Steinhauer kennt sich aus in Osteuropa, er lebte in Tschechien, Rumänien und lange in Budapest. Seine ersten, in Deutschland bislang nicht veröffentlichten kafkaesken Romane spielten in einem fiktiven Ostblockland unter Polizisten und Geheimagenten. Schon sein erstes Buch »The Bridge of Sighs« wurde als »bester Erstlingsroman« für den »Edgar« und gleich noch für vier weitere Krimi-Preise nominiert. Auch in seinen nächsten vier Romanen erzählte er die Ära des Kalten Krieges von der anderen Seite her. Allesamt waren sie keine Erfolge, der Autor ein Nobody. Bis er für »The Tourist« (nicht verwandt oder verschwägert mit dem gleichnamigen Donnersmarck-Film) den CIA-Agenten Milo Weaver erfand, bis George Clooney die Filmrechte kaufte und aus Milo ein Three-Book-Deal wurde. Eine Trilogie: »Der Tourist / Last Exit / Die Spinne«. Inzwischen hat Sony das ganze Paket gekauft und Regisseur Doug Liman entwickelt eine TV-Miniserie.
Nicht nur diese Äußerlichkeit verbindet Steinhauer mit John Le Carré. Zum Lesevergnügen an seinen Büchern gehört, Zeuge einer literarischen Stafettenübergabe zu werden. Er ist Jahrgang 1970, Großmeister Alan Furst wurde 1941 geboren, Robert Littell 1935, John le Carré 1931, Charles McCarry 1930, Eric Ambler 1909. Mit Steinhauer schreibt sich die moderne Thrillerliteratur fort. Endlich einmal stimmen all die Empfehlungszitate, die einen Autor in einen (meist zu großen) Traditionszusammenhang stellen.

Alf Mayer

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