Landungsbrücken: »Romeo und Julia«

Schnelldurchgang mit K.O.-Tropfen

Im Theater Landungsbrücken hat Sarah Kortmann bisher die Bühnenklassiker »Woyzeck« (Büchner), »Medea« (Sophokles) und »Nora« (Ibsen) inszeniert, rundum eigenwillig und mit recht unterschiedlichem Echo. Für ihre jüngste Produktion »Nora« allerdings fiel das Urteil eindeutig aus. Ihre Idee, das Stück um eine Frau, die zu Hause eh nichts zu sagen hat, in weiten Teilen wortlos zu gestalten, hat alle begeistert. Was würde die Regisseurin wohl mit William Shakespeares »Romeo und Julia« anstellen?
»Wir alle sind Liebende« verheißt der Flyer zum Stück versprechend. Er kündigt an, »die Grenzen der Geschlechterrollen« auszuloten und sich mit »der Liebe in allen Formen« zu beschäftigen. Schweinekram? Eine Fortentwicklung ihrer frechen szenischen Lesung »Sex Sells«, die gestandene Männer in der Bar Pik Dame erröten ließ – und vom 12. bis  14. Februar jeweils um 20 Uhr in der Kaiserpassage zu erleben ist? Weit gefehlt. Denn Kortmann nimmt sich der Liebe völlig unaufgeregt an, auch wenn sie das Veroneser Teenie-Pärchen von zwei Jungs und zwei Mädels (Dominik Meder, Johannes Schedl, Annick Reinicke, Nora Jokosha) in fliegenden Wechseln spielen lässt: Jede und jeder darf mal die Jule und mal der Romeo sein: er mit ihr und sie mit ihm, er mit ihm und sie mit ihr, vice versa, hin und zurück. Wie bei einer vollkombinierten Zweierwette auf der Rennbahn macht das zwölf Varianten. Doch alles geschlechtliches Allrounding ändert nichts. Der Himmel bleibt, wo Julia lebt, ob es die Nachtigall ist, die man trapsen hört, oder die Lerche.
Kortmann behält zwar die Schauplätze ihrer beiden Protagonisten textnah bei, spart aber fast alle Erwachsenen aus. Keine Amme, kein strenger Vater, kein werbender Prinz: Einzig Pater Lorenzo, der alte Kuppler, wird noch gebraucht. Nora Jokosha gibt ihn als quacksalbernde Nonne Lorenza und zeigt, wenn sie eine Lecture über die sachgerechte Anwendung von liquid extasy (K.O.-Tropfen) hält, dass sie auch das Comedy-Fach bedienen könnte. Mit im Spiel sind die spinnefeinden – von einem halben Dutzend Mitspielern verstärkten – Cliquen der Capulets und Montagues, die sich zu fetziger Musik im Moshpit clashen. Ruhig sitzen kann man bei dem kurzen, aber heftigen Auftritt nicht.
Im Zentrum der auch als Performance durchgehenden Aufführung aber stehen und entstehen Bilder vom Festhalten und Nicht-Loslassen-Können einer symbiotischen Beziehung in immer neuen Konstellationen, gekrönt vom tête-à-tête der Frauen auf Julias Balkon zum Soko-Hit »We might be dead tomorrow«. Ein großer Turn ist das nicht, aber ein manchmal wilder, bisweilen poetischer und in jedem Sinne kurzweiliger kleiner Ausflug in die große Literatur. Der Trip ist in 70 Minuten over.

Winnie Geipert (Foto: Landungsbrücken)
Termine: 21., 22. Februar, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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