Wer weiß, wohin? (Start: 22.3.2012)

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Lysistrata im Nahen Osten

»Wer weiß, wohin?« von Nadine Labaki


Der Anfang von »Wer weiß, wohin?« erinnert ein wenig an Bernardo Bertoluccis »1900«. Damals war dem Titelvorspann ein klassenkämpferisches Gemälde protestierender Landarbeiter unterlegt. Diesmal marschiert eine Gruppe schwarz gekleideter, sich im Takt der Musik bewegender, Frauen auf die Kamera zu. An ihrer Spitze die Hauptdarstellerin und Regisseurin des Films, Nadine Labaki.

Wie schon in ihrem Spielfilmdebüt »Caramel« (2007) wählt Labaki auch in »Wer weiß, wohin?«  die Form der (musikaiischen) Komödie, um sich mit der Situation in ihrem Heimatland auseinanderzusetzen. Allerdings stehen jetzt nicht um Emanzipation bemühte Beiruter Frauen im Mittelpunkt der Handlung, sondern die Bewohnerinnen eines abgelegenen Dorfes irgendwo im Libanon. Eine vom Einsturz bedrohte Brücke ist die einzige Verbindung zur minenverseuchten und noch immer von Schußwechseln durchdrungenen Außenwelt. Im Ort selber versuchen Christen und Moslems, dem weiter schwelenden Bürgerkrieg zu trotzen und in Harmonie zusammenzuleben. Das gelingt den Frauen und Kindern besser als den Männern, die nur auf eine günstige Gelegenheit zu warten scheinen, um wieder aufeinander loszugehen. Und als die Nichtigkeit – ein paar Ziegen verlaufen sich in die Moschee – dann wirklich passiert, müssen die Frauen ihre ganze Phantasie aufbieten, um den Testosteron-Haushalt ihrer Männer zu zügeln: um die Bürgerkriegs-Nachrichten fernzuhalten, sabotieren sie den einzigen Fernseher des Dorfes, engagieren eine ukrainische Stripperinnen-Truppe, damit die Männer auf andere Gedanken kommen, und betäuben sie schließlich mit Hasch-Gebäck, um das örtliche Waffenarsenal zu verbuddeln …
Arstophanes’ »Lysistrata« grüßt da von Ferne, wenn Nadine Labaki und ihre Co-Autoren ihren Frauen-Trupp in eine humorvolle Schlacht gegen religiösen Fanatismus und männlichen Chauvinismus schicken, der immer nur eins gebiert: Gewalt. Aber neben den unorthodoxen Friedensstrategien spielt natürlich auch die Liebe eine Rolle, die sich zwischen der Christin Amale (Nadine Labaki) und dem muslimischen Anstreicher Rabih (Julien Farhat) entwickelt, der Amales Café renoviert. Labakis Ehemann Khaled Mouzanar hat den beiden ein paar poetische Lieder in die Kehle geschrieben, in denen sie ihre gegenseitigen, unterdrückten Gefühle offenbaren. Und auch die kämpferischen Frauen trällern lustig drauflos, wenn sie sich zur gemeinsamen Back-Runde treffen.

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Dieses gerade im aktuellen französischen Kino wieder verstärkt angewendete Stilmittel wirkt nur im ersten Moment befremdlich. Aber dann ist es diese damit einhergehende Leichtigkeit, die einen unaufgeregten Kontrast zum tragikomischen Hintergrund der Geschichte bildet, und die Nadine Labakis Inszenierung auszeichnet. Mit der gleichen Souveränität führt sie ihr aus Laiendarstellern und Schauspielern zusammengesetztes Ensemble durch diesen Mikrokosmos, der (fast) überall auf der Welt verortet sein könnte. Vielleicht hilft diese ohne pädagogischen Zeigefinger daherkommende Allgemeingültigkeit dem Film auch bei seiner Bewerbung um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
Rolf-Ruediger Hamacher

WER WEISS, WOHIN? (Et maintenant, on va où?)
von Nadine Labaki, F/Libanon 2011, 100 Min.
mit Nadine Labaki, Claude Baz Moussawbaa, Layla Hakim, Yvonne Maalouf, Antoinette Noufaily
Komödie
Start: 22.03.2012

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