Krimikolumne: BLUTIGE ERNTE von Alf Mayer

Michael Behrendts SEK-Roman »Steinfresser«

Orwells harte Männer jetzt auch in Berlin?

»Um den Frieden in unserer Gesellschaft und Ihre Nachtruhe nicht zu beeinträchtigen, sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die handelnden Personen in diesem Roman womöglich frei erfunden sind und Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig sein könnten«, steht dem Buch voran.
Ganz schön muskulöser Anfang also, ehe die Karten gemischt sind. Auf der ersten gibt es einen dieser »Rauch und dichter Nebel lagen über den Spargelfeldern«-Prologe. Es ist Herbst im Beelitzer Land, der Vater eines kleinen Jungen wird abgeholt. Der habe sich das selbst zuzuschreiben, sagen »die Männer«. Irgendeine DDR-Vergangenheit wird also dräuend über‘m Buch hängen, sie bleibt aber dann über viele Seiten vage. Auch im ersten Kapitel – sie alle haben Überschriften, das hier heißt »Promenade« – wird noch an Erzählschärfe und -tiefe hantiert. Es beginnt mit dem »unverwechselbar dumpfen« Sound einer 9-Millimeter-Handfeuerwaffe, wenn sie in einem geschlossenen 7er BMW abgefeuert wird. »Dabei ist nichts dem Zufall überlassen«, steht da allen Ernstes, »schließlich tüfteln die Mathematiker und Maschinenbauer in den Entwicklungsabteilungen der Bayerischen Motoren Werke jahrelang an Rezepturen für den Klang, bevor ein neues Modell vom Stapel läuft. Ihre Erkenntnisse sind die einer geheimen Wissenschaft, die sich Psychoakustik nennt.« Die kümmern sich auch, wie dann so ein Schuss im Wageninnern klingt – falls ein Journalist aus Berlin mal einen Krimi schreiben will? »Der Schuss war außerhalb des Wagens deshalb nur sehr gedämpft zu hören. Wer die Ohren spitzte, konnte seine Richtung orten. Aber es hörte niemand hin.«
Nur ein paar Enten werden an diesem Abend aus dem Schlaf gerissen. Ein fußlahmer Dackel versäumt es, seine Herrin von dem toten BMW-Fahrer wegzuziehen. Ein etwas seltsamer Anfang aus der Tierperspektive, aber dann war er endlich da, ab Seite 16, wenn noch schlaflos und müde im Bett, SEK-Veteran Wolf Schacht, »der härteste Ermittler, den Berlin je hatte«, so das Klappentext-Versprechen. Es sind die Tage vor dem 6. April, vor dem Uli-Tag, seitdem nichts mehr so wie früher ist. Ulis Kollegen geht es schlecht an diesen Tagen, jeder reagiert darauf auf seine Art, wird uns gesagt. Die Erzählkonvention lässt erwarten, dass wir das noch ausführlicher erfahren werden. Was immer an jenem 6. April geschah, es war sicher spannender als so ein Dackel- oder Enten-Innenleben. Wir lesen vom Schacht-Kollegen Quiquek (tatsächlich nach einer Figur aus Melvilles »Moby Dick« benannt; später wissen wir, warum), der vor einem Jahr »einen russischen Zuhälter, der eine seiner Botox-Nutte ausführte«, böse aufgemischt hat. Schacht wälzt sich im Bett, stöhnt unter seinen Erinnerungen, denkt an Quiquek, mit dem sie damals dann in eine andere Bar weitergezogen waren. »Sie suchten keine Opfer, sie suchten Gleichgesuchte. Gladiatoren, wie sie selbst.«
Schacht ist »ein Gefahrensucher, sonst hätte er sich nicht für diesen Beruf entschieden«. Aber er will nicht mehr, sucht einen Ausstieg. Davor war er Bereitschaftspolizist gewesen. »An der Front, wann immer in Berlin Demonstrationen eskalierten. Steine fressen, nannte man das in ihrer Sprache – allerdings waren es auch manchmal Molotowcocktails und Flaschen, seltener Stahlkugeln, von Handzwillen abgeschossen.« Schacht legt eine CD von Johnny Cash ein. »Ain’t no grave hold this body down.« Hymne aller Totgeweihten. Marschlied der Gladiatoren, heißt es dazu.
Inzwischen sind wir auf Seite 19, angekommen, in einer Mike-Hammer-Welt, in der der Autor sich erkennbar wohl fühlt. Kerle sind hier Kerle und Frauen wie Kommissarin Beate landen mit Schacht so heftig im Bett, dass es aussieht, als hätten sogar »die Waffen versucht zu kopulieren«. Eine Edelnutte sagt: »Ich bin in meinem Gewerbe sozusagen ein Porsche. Wer mich fahren will, muss den Sprit zahlen.« Eine Nebendarstellerin begegnet Schacht so: »Die Brustwarzen drängen gen Himmel, aber das war egal. Die Frau hatte kurze, schwarze Haare, war dezent und trug eine Sekretärinnenbrille, die ihr etwas Kesses, Respektloses verlieh. Zwischen ihren Schenkeln, genauer gesagt im Schritt, konnte Schacht genau jene fünf Zentimeter Platz erspähen, für die bei einer Frau zwei Dinge nötig sind: Veranlagung und unermüdliches Training. Schacht spürte dass sein Blut in Wallung geriet.«
Er wird ihr das später heimzahlen, indem er sie äußerst ruppig darüber informiert, dass der Tote HIV positiv war. (Sie hatte mit dem Toten aus dem 7er BMW ein Verhältnis.) Dieser Tote, ein ehemaliger Kollege von Schacht, der als Personenschützer den Innenstaatssekretär fuhr, ist der MacGuffin des Plots. Sein Chef ist als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorgesehen. Als BKA-Bulle hat er »gegen die Organisierte Kriminalität gekämpft, auch gegen die fortbestehenden Strukturen der DDR-Staatssicherheit im wiedervereinigten Deutschland. SED-Vermögen, Finanzkriminalität.«
Puh. (Achtung Spoiler!) 25 Jahre nach der Wende wehen solche Enthüllungen natürlich um. Sen-sa-tio-nell! Später wird noch von der »Akte Rosenstolz« geraunt und dem ach so unbekannt gebliebenen tüchtigen Auslandsdienst der Stasi. Alte Herren ziehen Strippen und erpressen mit kinderschänderischem Altmaterial der Stasi. Gut, dass uns das Vorwort gewarnt hat. Unterwanderte Republik. Oh weh …
Es dauert, bis dieser Kriminalroman in Fahrt kommt. Folgende Sätze wären ein schöner Anfang gewesen, stehen aber erst auf Seite 81: »Dass Berlin arm war, sah Schacht jeden Tag, auch wenn sein Team schon so manchem Millionär die Türen eingetreten hatte. Dass Berlin sexy war, fand er nicht. Womöglich trieb er sich in den falschen Gegenden herum.«
Was diesen Roman, der als Beginn einer Trilogie angekündigt wird, interessant macht, ist in der Tat die Hauptfigur, auch wenn der Autor den Einfall hatte, sie ihrem Milieu entkommen lassen zu wollen: »Wolf Schacht, Führer des 3. SEK-Teams und Praktikant bei der 5. Mordkommission«. Die ehemalige Porno- und jetzige Busengröße Micaela Schäfer findet den Ermittler Wolf Schacht knüppelhart und ließ sich bei der Lektüre in der Badewanne fotografieren. Beim großen »Steinefresser«-Gewinnspiel waren eine Luxusreise nach Duba und  ein Nachmittag mit ihr zu gewinnen. Dagegen verblasst sogar mein Lieblingssatz aus »Steinefresser«: »Nehmt mal Haltung an, ihr Klappstühle!«

 
Michael Behrendt: Steinefresser. Schacht ermittelt. Deutscher Levante Verlag, Berlin 2014. Broschiert,
320 Seiten. 14,90 Euro.
http://www.wolf-schacht.de
http://buchtheke.levante-verlag.de

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