»Jack Reacher’s Rules« – Ein Thriller-Held als Ratgeber

Foto von Lee ChildTu’s einmal, und zwar richtig

Tom Cruise war möglicherweise der erste Adressat des kleinen, 152 Seiten starken Handbuchs »Jack Reacher’s Rules«. Denn er, zwei Köpfe kleiner als in der literarischen Vorlage, wird ab 3. Januar 2013 in unseren Kinos Jack Reacher sein. Nicht auf die Größe, auf die Haltung komme es an, meinte der Autor Lee Child zur Verfilmung seines Thrillers »One Shot« (dt. Sniper). Aktuell auf dem deutschen Büchermarkt angekommen ist gerade Lee Childs Thriller »Underground« (Gone Tomorrow), in dem der seit 1998 in New York lebende Engländer Lee Child den Terror nach Manhattan kommen läßt – das Buch stammt von 2009, der deutsche Verlag hinkt leider mit den Übersetzungen ziemlich nach. In der Anfangsszene glaubt Jack Reacher in der U-Bahn eine Selbstmordattentäterin zu orten, ruhig und methodisch addiert er die vom israelischen Geheimdienst kartographierten Erkennungszeichen solcher zur Selbstauslöschung bereiten Menschen.
Oh Mann, war meine erste Reaktion gewesen, als ich der Verlagsankündigung der New Yorker Delacorte Press für »Jack Reacher’s Rules« begegnete: Jetzt auch noch Regeln und Erfolgsstrategien eines Action-Helden für Manager?

Das wie eine alte Kladde daher kommende Büchlein mit qualmendem Einschußloch aber bleibt netterweise bei seinen Leisten. Es geht ausschließlich um Jack Reacher und die Welt nach dessen Willen und Vorstellung. Seine Regeln werden in 58 Mini-Kapiteln aufgeblättert, von »Sei vorbereitet«, »Ein Mann betritt eine Bar«, über »Wie man Hände schüttelt« zu »Gesetze des Kaffees«, »Reisen ohne Gepäck« oder »Achte deinen Gegner« bis zu »Frauen« und »Wie man die Stadt verläßt«. Die meisten dieser Infos sind wörtliche Zitate aus den bislang 17 Jack-Reacher-Romanen.
Lee Child (wirklicher Name Jim Grant), Jahrgang 1954, ist mit dem ehemaligen Militärpolizisten Jack Reacher auf eine Goldader gestoßen und hat einen Action-Helden entwickelt, den er buchstäblich überall aus dem Auto werfen und Handlung aufnehmen lassen kann und mit dem er dem ehrwürdigen Straight-forward-Thriller überzeugend neues Leben einzuhauchen vermag. Bei aller Kurzweil taugt das Regel-Buch so auch als ein witziges Kompendium des Actionthrillers, als eine Einführung in die Kunst der vorwärtstreibenden Erzählung.

»Keep on the Move« ist eines der wichtigeren Kapitel. Jedes Leben braucht ein Ordnungsprinzip, das von Reacher ist ein rücksichtsloses Vorwärts. Bleib immer in Bewegung. / Mach nie dasselbe zweimal. / Ein Drifter zu sein bedeutet, du schaust nach vorn, nicht zurück. Du konzentrierst dich auf das, was auf dich zukommt. / Und du organisierst jedes kleinste Ding in deinem Leben so, daß du von einer Sekunde auf die andere einfach die Fliege machen kannst. / Der beste Schlafplatz für einen Nomaden ist ein Motel. / Bezahle in Cash und gib einen falschen Namen an. (Reacher nennt das gern tote Baseballspieler oder Präsidenten.)
Reacher ist ein Landstreicher, kein Obdachloser, das ist ein großer Unterschied, darauf leg er Wert – sondern ein Hobo . William T. Vollman hat über diese ehrwürdige Daseinsform ein schönes Buch gemacht (Hobo Blues. Ein amerikanisches Nachtbild, Suhrkamp 2009). 17 Bücher lang driftet Reacher schon durch die USA. Wenn es sein muß, kauft er neue Kleidung, für die nächsten Tage und für die nächste Mülltonne. Seine Maxime: Besitze nichts, schleppe nichts mit dir herum. / Zwei Tage an einem Ort sind so ziemlich das Maximum. / Kein Haus, kein Auto, kein Handy, kein Koffer, keine Tasche, nicht mal ein Hemd zum Wechseln. / Denn »eine kleine Tasche zu füllen, heißt auszuwählen und zu entscheiden. Ziemlich schnell habe ich dann eine große Tasche, dann zwei oder drei. Und einen Monat später bin ich wie ihr alle.« Den Leitfaden durchzieht eine kleine Sammlung von »Was du nie von Reacher hören wirst«. Darunter: Ich gebe auf, es ist hoffnungslos. / Meine Frau versteht mich nicht. / Ruf mich zurück. /Gehen wir zu dir oder zu mir? A propos Reacher und die Frauen, die ihn in den Büchern wie auch als Leserinnen mögen, das ist ein eigenes Kapitel, eigentlich eine eigene Betrachtung wert. Zu seinen Regeln zählt: I don’t do permanent. Und weiter: Love them and leave them. / Ältere Frauen … sind es wert.

Auf Seite 100 findet sich »Reachers’s Moral Code«. Darunter: Ich will die Welt nicht verbessern, aber ich mag die Leute nicht, die sie schlechter machen. Oder: Tu’s einmal, und zwar richtig. Und dann: Tu nicht, was das Gesetz sagt, tu, was richtig ist. Mit diesem eigentlich in jedem Reacher-Roman variierten Satz stellen Reacher und sein Autor Child sich in die Tradition des Vigilantismus (wozu man stehen mag wie man will, offenkundig gibt es dafür ein zivilisatorisch unvermindert starkes Bedürfnis).
Zu tun, was richtig ist – wenn wir als Leser dem zu folgen bereit sind –, sind dafür bei Reacher alle Mittel erlaubt. Gegen Reacher zu kämpfen ist, als würde einem eine laufende Motorsäge zugeworfen. / Wenn du verletzt wirst, greif an, weich nicht zurück. / Es hilft, wenn du um dein Leben kämpfst. Auch der Endkampf in »Underground« ist entsprechend explizit. Hier erwürgt er eine (böse) Frau, weil er anders als in früheren Romanen keine Messer (mehr) mag.

Alf Mayer

Die Reacher-Romane von Lee Child:
Größenwahn (Killing Floor, 1997) | Ausgeliefert (Die Trying. 1998) | Sein wahres Gesicht (Tripwire, 1999) | Zeit der Rache (The Visitor/US: Running Blind, 2000) | In letzter Sekunde (Echo Burning, 2001) | Tödliche Absicht (Without Fail, 2002) | Der Janusmann (Persuader, 2003) | Die Abschussliste ( The Enemy, 2004) | Sniper (One Shot, 2005) | Way Out (The Hard Way, 2006) | Trouble (Bad Luck & Trouble, 2007) | Outlaw (Nothing to Loose, 2008) | Underground (Gone Tomorrow) 2009/ dt. 2012 | 61 Hours (2010) | Worth Dying For (2010) | The Affair (2011)| A Wanted Man (2012)

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