Julya Rabinovichs Geschichten über Alma Mahler-Werfel

Die Kunst der Obsessionen

Da muss schon etwas mehr dran gewesen sein als nur das Übergewicht.  Aus dem zarten Mädchen war eine mächtige, matronenhafte Hetäre geworden. Alma Mahler-Werfel verführte einige der Großen ihrer Welt, Kokoschka, Mahler, Gropius, Werfel, quer durch alle Kunstgattungen hindurch. Sie verschlang sie und spuckte sie, darauf war Verlass, regelmäßig wieder aus. Julya Rabinowich, die 1970 in St. Petersburg geborene, seit 1977 in Wien lebende Autorin, hat in ihrem Roman »Krötenliebe« die traurig-schaurig-schöne Geschichte dieser wahrlich ungewöhnlichen Frau packend beschrieben.

»Er umklammerte sie, zwang seine Zunge zwischen ihre halb geöffneten aufdringlich rosa Lippen,  schmeckte von seinem Speichel aufgeweichten Stoff, dem seine Wärme vorübergehend eigene Temperatur verliehen hatte (…) Er biss hasserfüllt in ihr Gesicht.« Worauf sich der Maler Oskar Kokoschka, das ›enfant terrible‹ Wiens, in seinem Atelier gestürzt hatte, war eine Stoffpuppe mit den Maßen und den Gesichtszügen von Alma Mahler, der ›femme fatale‹. Sie und Kokoschka verband vor dem ersten Weltkrieg eine leidenschaftliche Liebe. Um ihr zu imponieren, zog er in den Krieg, denn er spürte, dass sie sich immer mehr von ihm zu entfernen begann. Schwer verletzt kehrt er zurück, doch sie hatte endgültig das Interesse an ihm verloren. »In einem Zornesausbruch nach einer alkoholdurchtränkten und durchfeierten Nacht wird er erst diese nutzlose Ersatz-Alma enthaupten und danach eine Flasche auf ihr zerbrechen.«
Ein anderer »rasender Verehrer« ist der Epigenetiker Paul Kammerer. Seit seiner Kindheit war er »krötennärrisch«, er liebt »diese glänzenden Leiber, diese zarte Haut, die feinen Tupfer.« Aber Kammerer ist nicht nur eine tragische Figur in der unerwiderten Liebe zu Alma, sondern auch als Wissenschaftler. Erst gefeiert als Entdecker der Tatsache, dass Frösche und Kröten erworbene Merkmale vererben können, wird er durch Intrigen als vermeintlicher Fälscher entlarvt und nimmt sich daraufhin das Leben. Auch er war »besessen, verrückt, blindwütig in seiner rasenden Liebe.« Alma ist »Mutter, Geliebte und Begehrte. Eine junge, kraftvolle Frau, die ihren Körper kennt und seine geölte Maschinerie in Bewegung setzen kann, routiniert, verdorben, gefühlvoll. Später wird man über sie sagen, sie sei ein Engel und eine Kloake gewesen.« Almas verschiedene Ehen und ihre zahlreichen Liaisons sind bekannt. Die Autorin macht aus der biographischen Vorlage Literatur, indem sie das Bekannte interpretiert und Erdachtes hinzufügt. Dabei ist ihr ein kleines sprachliches Kunstwerk gelungen. In ihren Geschichten wechseln die Zeitebenen, sie schreibt nicht chronologisch, sondern greift vor und springt zurück. Sie beschreibt diese Menschen in ihrem obsessiven, blindwütigen Verhalten, ohne sie je bloßzustellen. Zudem versucht sie, ihrer Heldin eine neue Facette hinzuzufügen. Die kleine Alma liebt ihren Vater, den sehr erfolgreichen Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler, abgöttisch und muss mitansehen, wie er von der »liebeshungrigen Mutter« auf üble Weise betrogen wird. Carl Moll, Schindlers Lieblingsschüler, »bewunderte den Vater und beschlief die Mutter«. Als der Vater überraschend stirbt, fühlt Alma sich von ihm »verraten«. Hier zeigt sich für Julya Rabinowich die entscheidende Bruchstelle dieser Biographie.
Alma, die faszinierende, starke, unabhängige Frau, die nur an Männern interessiert ist, »die sich versklaven ließen«, fühlt tief im Innern »hinter Schmerz und Wut (…) die Gewissheit, nichts zu können, nichts wert zu sein.“ Ab jetzt würde sie die Erste sein, »die Verrat beging, bevor jemand nur ein einziges Mal noch die Gelegenheit erhielt, sie zu verraten«.

Sigrid Lüdke-Haertel
 
Julya Rabinowich: »Krötenliebe«, Roman.
Deuticke Verlag, Wien 2019, 190 S., 19,90 Euro

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