»Jonathan« von Piotr J. Lewandowski

Von Menschen und Insekten

Viel vorgenommen hat sich der 1975 in Warschau geborene und 1999 nach Offenbach an die Hochschule für Gestaltung gekommene Piotr J. Lewandowski, der wohl nicht verwandt ist mit dem bekannten Fußballspieler. Sein mit dem hessischen Drehbuchpreis ausgezeichnetes Script hat er gleich selbst inszeniert, und von den ersten Bildern an wird klar, dass hier ein bewusster Cineast am Werk ist.

»Jonathan«, der erste lange Spielfilm des Regisseurs, sticht aber nicht nur durch den bemerkenswerten visuellen Stil heraus, den Lewandowski zusammen mit Kameramann Jeremy Rouse ausgearbeitet hat, auch die Geschichte ist ungewöhnlich.
Da ist zunächst der 23-jährige Jonathan, von Jannis Niewöhner als eine Art Alter Ego des Regisseurs gegeben. Er wohnt mit seinem krebskranken Vater Burghardt, von André M. Hennicke so echt dargestellt, dass man ihn sich gar nicht als gesunden Mann vorstellen kann, in einem Haus auf einem abgelegenen Bauernhof. In dem benachbarten Gebäude lebt Burghardts Schwester Martha, die von einer mürrischen Barbara Auer verkörpert wird. Zwischen beiden Parteien scheinen die Aufgaben fest verteilt, denn kein Wort fällt seit Jahren zwischen Martha und ihrem Bruder, allein Jonathan fragt seine Tante, warum sie so abweisend ist, was sie über seine tödlich verunglückte Mutter weiß. Er solle gefälligst seinen Vater fragen, murrt sie dann. Aber der weicht aus, es sei nicht die richtige Zeit, über die tote Mutter zu reden.
Es lastet ein Familiengeheimnis auf dem Hof und leider auch auf dem Film, der mehr als eine Stunde braucht, um es zu lüften. Quälend ist vor allem Burghardts Siechtum, seine Krankenhausaufenthalte, die in immer kürzeren Abständen nötig werden. Jonathan kümmert sich, pflegt seinen Vater daheim, doch oft ist er überfordert. Eine Pflegerin soll ihn entlasten. Die junge, verführerische Anka (Julia Koschitz) schafft das auch, wahrt Distanz zunächst und fängt dann doch ein Techtelmechtel mit Jonathan an. Ohne Sex, auch in unappetitlicher Form, kommt dieser Film nicht aus. Als Burghardts früherer Freund Ron (Thomas Sarbacher) auftaucht und die Pflege an sich reißt, fühlt sich Jonathan an den Rand gedrängt. Doch Ron wird helfen, das Rätsel um den Tod der Mutter aufzulösen.
Sehr osteuropäisch wirkt diese deutsche, von Hessen Invest geförderte Produktion. Das Gehöft ist – Jonathans und Ankas Liebelei ausgenommen – ein freudloser Ort. Vielleicht soll der Film auch eine Parabel sein, wie manche aus den goEast-Festivals. In ihr kommentieren Bilder von Insekten das unausweichliche Schicksal der Menschen. Wenig Aussicht auf Besserung. Spät zeigt Martha Mitleid mit Burghardt, und Jonathan verlässt diese düstere Stätte, an der er aufgewachsen ist. Der Film gönnt uns dann doch ein positives Ende.

Claus Wecker (Foto: © Jeremy Rouse)
JONATHAN
von Piotr J. Lewandowski, D 2016, 99 Min.
mit Jannis Niewöhner, André M. Hennicke, Julia Koschitz, Thomas Sarbacher, Barbara Auer
Drama
Start: 06.10.2016

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