James Salter: »Charisma«, Sämtliche Stories

Harter Bursche, zarte Seele

Die meisten seiner Einsätze flog er im Korea-Krieg als Kampfflieger bei der  US Air Force. Auch darüber hat er geschrieben, das Beste, »was je über das Fliegen geschrieben« wurde, meint Michael Ondaatje. Nach zwölf Jahren quittierte er den Dienst. Er wurde Schriftsteller, einer der besten, die Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht hat. »Verbrannte Tage«, »Ein Spiel und ein Zeitvertreib« und, natürlich, »Lichtjahre« , einer der schönsten Romane, die ich je gelesen habe.

Jetzt, keine zwei Jahre nach seinem Tod, kurz nach seinem 90. Geburtstag, sind James Salters »Sämtliche Stories« auch bei uns erschienen. Entstanden zwischen 1960 und 1980. Neu sind nur die Titelgeschichte »Charisma« und drei Vorlesungen über Literatur, die sich ebenfalls wie Stories lesen. Salter beschreibt darin vor allem den ewigen Kampf  zwischen den Geschlechtern, ohne jemals große Geschütze aufzufahren (und schon gar keine groben). Er beschreibt das alltägliche Leben in seiner ganzen Trostlosigkeit. Er zeigt sich als Großmeister der kleinen Verletzungen, »wie nahe man der Katastrophe sein konnte, egal, wie sicher man sich fühlte« oder wie es war, »wenn der Schlag kam und die Stützpfeiler nachgaben und brachen«.  In der Geschichte »Zwanzig Minuten« berichtet eine Frau über ihren Reitunfall. Sie stürzt bei einem Sprung über ein Gatter, sie fliegt voran, das Pferd hinterher, es »landete auf ihrem Unterkörper«. Erst ganz allmählich erschließt sich dem Leser die Tragweite dieses Sturzes, denn die Frau sitzt »auf einem Sofa, beide Arme auf der Lehne ausgestreckt und in einer Hand einen Drink«,  als sie ihrem Gegenüber von dieser Tragödie berichtet. Fast teilnahmslos erzählt sie von ihrer Querschnittslähmung, ihrem Mann, der sie vor einem Jahr verlassen hat und dem Lebensmotto ihres irischen Vaters: »Sie schlagen dich nieder und du stehst wieder auf. Das ist alles.«
Und das ist Salter.
In der Erzählung »Dämmerung« begegnen wir Mrs. Chandler, »die ein bestimmtes Leben führte. Sie wusste, wie man Dinnerpartys gab, mit Hunden umging, Restaurants betrat. Sie hatte ihre eigene Art … sich zu kleiden, sie selbst zu sein … Sie war eine Frau, die Bücher gelesen, die Golf gespielt, die Stürme überstanden hatte, eine gute Frau, die jetzt niemand mehr wollte.« Verlassen von ihrem Mann, den jüngsten Sohn verloren, betet sie jeden Sonntag in der Kirche: »O Herr, übersieh ihn nicht, er ist so klein.« Sie ist 46 Jahre, aber »der Sommer mit seinen Hoffnungen und den langen Tagen war vorbei«. Salter versteht es unnachahmlich, die Tragik menschlicher Schicksale auf einen Punkt zusammenzuziehen. Er macht nicht viele Worte. Er braucht nicht viele Worte. Doch alles ist gesagt. In zwei, drei Sätzen beschreibt er die Situation, dem Leser stockt der Atem. Eine überraschende Wendung nimmt die Geschichte von Anna und Jack, die eine Methode entwickelt haben, mit Störfaktoren in ihrer Beziehung aufzuräumen. Nur verlangt Anna diesmal von Jack sein »halbes Leben«. In »So viel Spaß« treffen sich drei Freundinnen in einem Restaurant. Sie sind fröhlich, lachen und reden über Beruf, Karriere und Männer. Später gehen sie noch zu Leslie, um einige Absacker zu trinken. Je betrunkener sie werden, desto mehr geben sie von sich preis. Erst als Jane im Taxi ist laufen ihr die Tränen aus den Augen. Der Taxifahrer fragt: »Ist etwas nicht in Ordnung?«  Da bricht es aus ihr heraus: »Ich habe Krebs, ich sterbe.«
John Banville hat in seinem Vorwort Salters Technik beschrieben. Es ist »die rücksichtslose Genauigkeit«, mit der er sein Personal betrachtet. Salter hat »eine Erzähltechnik entwickelt, die bei aller Knappheit, irrwitzige Räume entwickelt«.
Seine Sätze reißen tatsächlich ganze Welten auf. Wer diesen James Salter nicht liest, ist selber schuld.

Sigrid Lüdke-Haertel (Foto: © Stan Honda)
James Salter: Charisma.
Sämtliche Stories
Aus dem Amerikanischen von B. Howeg, Malte Friedrich und N. Hansen. Berlin: Berlin Verlag, 2016, 368 S., 22 Euro

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