James Lee Burke zum 80. Geburtstag

Soviel Burke war nie

Am 5. Dezember 2016 wurde James Lee Burke 80 Jahre alt. Und endlich ist er wieder – nach mehr als zehnjährigem kollektivem Verlagsversagen – in Deutschland gebührend präsent. Gleich fünf seiner Bücher sind in diesem Jahr bei uns herausgekommen. Zwei (neuere) Hackberry-Holland-Romane bei Heyne, drei (ältere) Dave-Robicheaux-Romane bei Pendragon. Man muss alle Daumen drücken, dass es gutgeht und guttut mit so viel Burke auf einmal. Gute 2.680 Seiten Lesestoff. Das ist viel Holz. Auf jeden Fall holt es einen der ganz Großen der Kriminalliteratur wieder zurück auf unsere hiesige Landkarte.
Die beiden Romanreihen sind unterschiedlich in Blick und Haltung, ihnen gemeinsam sind James Lee Burkes Sprachgewalt und Fähigkeit, uns seine Geschichten mit panoramahaften Landschaftsbildern und viel Natur zu untermalen. Innen und Außen, da ist er sehr filmisch. Man muss einmal einen – am besten restaurierten – Western von John Ford im großen Kino gesehen zu haben, um einen Vergleich zum meisterhaften Maler Burke zu haben. Ich für meinen Teil denke da immer an die staunenswerte Nachtritt-Sequenz in »Der Teufelshauptmann« (She Wore a Yellow Ribbon, 1949), wo John Wayne seine Truppe durch das von Blitzen zerpflügte Monument Valley treibt. Gewaltig breiter und hoher Himmel. Big Sky. Kleine Menschen mit all ihren Schicksalen darunter. Fords Kameramann Winton Hoch weigerte sich, bei solch einer Wetterlage die Kamera aufzubauen, Ford zwang ihn mit Wutausbrüchen und angeblich vorgehaltener Pistole dazu. Später gab es genau für diese Gewitterszene einen Oscar für die beste Kameraarbeit.
Nun also ganz aktuell zwei Burke’sche Oscar-Kandidaten. »Blut in den Bayous« und »Vater und Sohn«, das im Original »House of the Rising Sun« heißt. Es ist ein epischer Roman über das Ende des Wilden Westens, er führt von Pancho Villas mexikanischer Revolution bis zu Butch Cassidy und den Schlachtfeldern von Flandern. Texas Ranger Hackberry Holland, dessen Verwandten Weldon wir neben einer Enkelin von Rosa Luxemburg früher in diesem Jahr in »Fremdes Land« (Wayfaring Stranger) treffen konnten, sucht seinen verstoßenen-verlorenen Sohn Ishmael. Wer denkt da nicht an den allerberühmtesten Romananfang der Literatur? James Lee Burke aber jagt seinen Wal an Land, gerade die Hackberry-Holland-Romane suchen die Seele eines Landes, das unter »Glut und Asche« liegt (so ein weiterer Titel dieser Reihe).
»Blut in den Bayous« (Heaven’s Prisoners) ist Burkes zweiter Roman mit dem Polizisten Dave Robicheaux und stammt aus dem Jahr 1988. Die Robicheaux_Bücher sind sozusagen Käptn Ahab beim Landgang in Close-up. Ein Mann, der buchstäblich aufs Trockene kommen muss. Mit dem Cop Dave Robicheaux und mit »Neonregen« begann Jim, wie ihn die Freunde nennen, 1987 seine Karriere als Autor von Kriminalliteratur. 20 Robicheaux-Romane sind es bis heute geworden, die letzten wurden dann nicht mehr ins Deutsche übersetzt. Der Pendragon Verlag aus Bielefeld, der sie alle herausbringen will, hat hier eine ambitionierte Aufgabe vor sich.
Burke hatte die Figur ursprünglich auf eine Trilogie hin angelegt. Er sagt dazu: »Es war mein Versuch, John Miltons große epische Gedichte ›Das verlorene Paradies‹ und ›Das wiedergewonnene Paradies‹ (von 1667 und 1671) zeitgenössisch zu aktualisieren. Ich vergleiche mich nicht mit Milton, keineswegs, aber der Höllensturz der gefallenen Engel, die Versuchung von Adam und Eva durch Satan und die Vertreibung aus dem Paradies, das sind Geschichten, die tief zu unserer Kultur gehören und die auch heute noch erzählt werden müssen und können.«
»Paradise Lost« übrigens wird auch in dem Thriller »Seven« zitiert; in Taylor Hackfords Film »Im Auftrag des Teufels« trägt Al Pacino den Namen John Milton und in der Popkultur gibt es Songvarianten und Bezüge gleich dutzendfach. Der gerade im grausligen US-Wahlkampf so oft wiederbeschworene »Amerikanische Traum« hat in James Lee Burke einen Porträtisten, der noch lange nicht fertig gemalt hat.
Der Erfolg kam spät in seinem Leben, (nicht nur) das hat er mit seinem Freund Charles Willeford gemeinsam. Burkes erste Erzählung erschien, als er 19 war. Seinen ersten Roman beendete er wenige Wochen nach seinem 24. Geburtstag. So lange ist er also schon Schriftsteller – mehr als 55 Jahre. Aber es gab lange, steinige und staubige Jahre. Der Titel seines ersten Romans lautete »Half of Paradise«. Mit 34 hatte er drei Hardcover-Romane auf dem Markt, aber dann kam die große Dürre. Ehe er die erste Hälfte seines Schriftstellerparadieses erreichte, dauerte es noch gut 25 Jahre. Heute ist er weithin anerkannt.
Am 5. Dezember 2016 ist James Lee Burke 80 Jahre alt. Immer noch schreibt er sechs Tage die Woche. Seine Arbeit nennt er in Anspielung auf seine Herkunft aus den Südstaaten »Baumwolle pflücken«. Sein Arbeitsethos: »Wenn ich ein Buch fertig habe, kann ich vielleicht zwei Wochen ohne Schreiben auskommen, aber dann fange ich wieder an.« Längst ist er schon wieder an einem neuen Roman.

Happy Birthday also, Jim.
Keep on moving!

Alf Mayer

 

Die James Lee Burke-Romane, die 2016 in Deutschland erschienen sind:
–    November 2016: James Lee Burke: Vater und Sohn (House of the Rising Sun, 2015). Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller. München: Heyne Hardcore, 2016. Klappenbroschur, 640 Seiten, 17,99 Euro.
–    Oktober 2016: James Lee Burke: Blut in den Bayous (Heaven’s Prisoners, 1988) Dave Robicheaux Nr. 2). Deutsch von Jürgen Behrens. Überarbeitete Neuausgabe mit einem Nachwort von Alf Mayer. Bielefeld: Pendragon Verlag, 2016. Klappenbroschur, 456 Seiten, 17,00 Euro.
–    Juli 2016: Neonregen (Neon Rain, 1987; Dave Robicheaux Nr. 1). Deutsch von von Hans H. Harbort. Überarbeitete Neuausgabe mit einem Nachwort von Alf Mayer. Bielefeld: Pendragon Verlag, 2016. Klappenbroschur, 432 Seiten, 17,00 Euro.
–    Mai 2016: Fremdes Land (Wayfaring Stranger, 2014). Aus dem Amerikanischen von Ulrich Thiele. München: Heyne Hardcore, 2016. Klappenbroschur, 576 Seiten, 17,99 Euro.
–    Februar 2016: Mississippi Jam. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Deutsche Erstausgabe. Bielefeld: Pendragon Verlag, 2016. Klappenbroschur, 588 Seiten, 17,99 Euro.

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