»Jackie« von Pablo Larrain

Legendenbildung auf amerikanisch

»Camelot« war das Lieblingsmusical von John F. Kennedy. Nur für einen kurzen, glänzenden Moment gab es Camelot, heißt darin. So kurz wie Kennedys Präsidentschaft vom 20. Januar 1961 bis zum 22. November 1963. Wie dieser kurze, glänzende Moment in der US-amerikanischen Geschichte zu Ende ging, schildert – aus der Sicht der Präsidentenwitwe – der Film »Jackie«.

Es ist die erste große internationale Produktion, bei der der Chilene Pablo Larrain Regie geführt hat. Die Arthouse-Freunde hierzulande, die sich für Lateinamerika interessieren, könnten seine Filme »No!« und »El club« gesehen haben.
Für »Jackie« stand ihm Natalie Portman in der Rolle der First Lady zur Verfügung. Sie spielt mit Nachdruck gegen das Hochglanz-Image an, das die Regenbogen-Presse von Jackie verbreitet hat. Ihre First Lady ist eine zutiefst verletzte Frau, die sich zunächst Vorwürfe macht, ihren Mann nach dem ersten Schuss nicht besser geschützt zu haben. »Ich habe versucht, seinen Kopf zusammenzuhalten«, stammelt sie unter Tränen. Ihr blutbeflecktes Kostüm trägt sie noch bei der Vereidigung des bisherigen Vizepräsident Lyndon B. Johnson zum Präsidenten. Da sind sie auf dem Rückflug von Dallas nach Washington.
Den Rahmen für Jackies Darstellung der Tage nach dem Attentat, auf die sich der Film im Wesentlichen beschränkt, bildet das Interview mit einem Journalisten (Billy Crudup). Jackie ist konsequent bemüht, das makellose Andenken an ihren Mann zu bewahren. Und damit wird der Film auch zu einem weiteren Beitrag zur großen Geschichtslegende, die uns das amerikanische Kino so gern erzählt. Hat man die Wahl zwischen der Wahrheit und der Legende, soll man die Legende drucken, hieß es schon in John Fords Western »Der Mann, der Liberty Valance erschoss«.
Ein Vorbild für die Bestattungszeremonie bietet sich an: Abraham Lincoln, der ebenfalls erschossen worden ist. Wie bei ihm soll es zu Fuß durch die Straßen gehen und nicht in Staatskarossen, beharrt die trauernde Witwe. Der ganzen Welt soll vor Augen geführt werden, was geschehen ist. Die Security ist dagegen, ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges. Schließlich werden höchste ausländische Repräsentanten erwartet, unter ihnen der französische Präsident Charles de Gaulle, der die Limousine verlangt. Also gibt die Witwe erst nach, um schließlich dann doch auf dem Fußmarsch zu bestehen. Wenn General De Gaulle in einer gepanzerten Limousine oder in einem Panzer zur Kirche fahren möchte, werde sie ihm das nicht nachtragen, lässt sie ihm ausrichten. Und schließlich laufen alle einträchtig hinter dem Sarg her.
So erweist sich Jackie eben auch als starke Frau – wie zu Lebzeiten ihres Mannes, als sie dem Weißen Haus ihren Stempel aufgedrückt hat. Da erlaubt sich der Film eine Rückblende mit der in realitätsgetreuem Schwarzweiß nachgedrehten legendären CBS-Fernsehsendung, in der die First Lady die Zuschauer durch das präsidiale Zuhause führt.
Das Volk brauche eine Kontinuität mit starken Figuren, an denen es sich orientieren kann, wird im Film behauptet. Das schaffe Zusammenhalt. Insofern ist der Film »Jackie« auch ein Beitrag zur aktuellen politischen Lage.

Claus Wecker (© Tobis Film)
JACKIE
von Pablo Larraín, USA 2016, 100 Min., mit Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Billy Crudup, John Hurt, John Carroll Lynch
Drama, Biographie
Start: 26.01.2017

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