Interview mit dem Thriller-Autor Wallace Stroby

Crissa Stone, Beruf: Verbrecherin

Frage: Wie war das mit Ali MacGraw? Sie ist an allem schuld?
Wallace Stroby: Nun ja, gewissermaßen schon. Ich hatte wieder einmal die Jim Thompson-Verfilmung »The Getaway« von Sam Peckinpah (1972) gesehen, wo Steve McQueen den Bankräuber Doc spielt und mit  Ali MacGraw auf der Flucht ist. Da sagte ich mir: Was wäre eigentlich, wenn die Frauenfigur nicht so passiv wäre? Das war der Ausgangspunkt für Crissa Stone, die professionelle Räuberin.

Frage: Und wie sieht das heute aus, wo in den USA gerade dein vierter Roman mit Crissa Stone erschienen ist  – und die Reihe jetzt auch in Deutschland startet?
Wallace Stroby: Ali MacGraw stand am Anfang von »Kalter Schuss ins Herz«, aber das trat schon beim Schreiben in den Hintergrund. Crissa hat schnell ihre eigene Stimme gefunden. Sie ist nicht Ali. Sie ist etwas Eigenes.

Frage: Wollen wir in Einzelheiten gehen?
Wallace Stroby: Im Prinzip gerne, aber sollen wir den Lesern wirklich den Spaß nehmen, sie selbst kennenzulernen? Gerade in ihrem ersten Buch gibt es da Stück um Stück Informationen, das baut sich auf.

Frage: Nach dem Ratschlag »Show, don’t tell«?
Wallace Stroby: Ja, genau. Elmore Leonard und seine zehn nur scheinbar einfachen Schreibregeln haben ihre Wirkung auf mich nicht verfehlt. Nicht erzählen, zeigen. Wie die Meister des Pulp das machten oder Filmemacher wie Samuel Fuller oder Jean-Pierre Melville.

Frage: Wie kommt ein Amerikaner auf einen französischen Regisseur?
Wallace Stroby: Wer das Krimigenre liebt, kommt an Melville nicht vorbei. Ich mag auch seine Nicht-Gangsterfilme. Im Übrigen, ich sehe auch zu, dass ich jeden Film von Volker Schlöndorff sehe. Er war in seinen Anfängen Assistent bei Melville.

Frage: Wie ist es mit der Leserschaft für Crissa Stone? Mögen eher die Männer sie oder die Frauen?
Wallace Stroby: Soweit ich das überblicke, hat Crissa ebenso männliche wie weibliche Leser. Frauen scheinen sie zu mögen, weil sie ein starker Charakter und eben kein Opfer ist. Die männlichen Leser schätzen es als schnell erzählte, vorwärts treibende Geschichte. Ich bin sehr glücklich über meine Leser.

Frage: Wie ist das mit Crissa Stone und ihrem literarischen Vorläufer Parker, dem 1962 von Richard Stark alias Donald E. Westlake erfundenen Berufsverbrecher?
Wallace Stroby: Viele Kritiker und, mir noch wichtiger, viele Schriftstellerkollegen ziehen diesen Vergleich. Das freut und das ehrt mich sehr. Ich selbst bin damit nie hausieren gegangen, ich habe einen Heidenrespekt vor Parker und seinem Schöpfer.

Frage: Nie hausieren gegangen, vielleicht – aber einen Anspruch gibt es doch, oder?
Wallace Stroby: Meine Absicht mit den Crissa-Stone-Romanen ist es, die lapidare und dicht gedrängte Erzählform der Parker-Romane weiterzutreiben und sie mit einem realistischen Ton und einem glaubwürdigen Setting zu verbinden, so wie George V. Higgins das mit »Die Freunde von Eddie Coyle« getan hat. Ich weiß nicht, ob ich da schon bin, aber ich bleibe am Ball. Ich bin sehr glücklich, dass in den Besprechungen von Crissa Stone diese beiden Autoren erwähnt werden. Das ist schon eine sehr vornehme Gesellschaft. Ich mag diesen völlig abgeschminkten Stil, wo es eine Herausforderung ist, Charakterentwicklung und Hintergrund mit schnellen Strichen zu zeichnen. Zuviel davon, und das Buch macht eine Vollbremsung. Ich wollte etwas schreiben, was wir »lean and mean« nennen, aber gleichzeitig eine emotionale Seite hat.

Frage: Haben Parker und Crissa etwas mit dem französischen Existentialismus zu tun?
Wallace Stroby: Ich denke, französischer Existentialismus und Parker-Stoizismus sind unauflöslich miteinander verbunden. Man muss da auch noch Entfremdung dazu nehmen. Dieses Gefühl, außerhalb der Gesellschaft zu leben – nicht unbedingt nur aus freien Stücken, aber tatsächlich damit klar zu kommen, alleine mit Enttäuschungen fertig zu werden und erfolgreich zu sein. Crissa wird nichts geschenkt. Sie muss es sich holen. Auf eigene Gefahr. Aber sie ist die Meisterin ihres Schicksals, ihr eigener Kapitän.

 

Wallace Stroby fing als Polizeireporter im Spätdienst bei einer Zeitung namens »The Asbury Park Press« an, hat Bruce Springsteen mehr als 100 Mal live gesehen, war dann 13 Jahre beim »Star Ledger«, der größten Zeitung in New Jersey, dem Hausblatt von Tony Soprano in der gleichnamigen Fernsehserie. Er gehörte zu einer Handvoll von Redakteuren, die ihren Spaß damit hatten, für die »Sopranos« eigene Zeitungsausgaben mit auf die Handlung zugeschnittenen Schlagzeilen und Artikeln zu entwerfen. Einer seiner Kollegen dabei war Alan Sepinwall, der heute wohl beste Blogger in Sachen gute TV-Serien. Auch Stroby hat seine Spezialgebiete: den Film Noir und die Pulps, die harten, schnellen Romane der 50er bis 70er. Als seine Zeitung in Schwierigkeiten geriet, ging er weg, wurde freier Schriftsteller – und hat es nie bereut. Gleich sein Erstling erhielt Auszeichnungen, für seinen vierten Roman erfand er Crissa Stone, die allgemein als legitime Nachfolgerin von Parker angesehen wird.
Parker, nie ein Vorname, nie irgendwelche Sperenzchen, war 1962 die Erfindung des damals 29jährigen New Yorker Pulp-Schriftstellers Donald E. Westlake. Für eine neue Romanreihe mit dem Berufsverbrecher Parker legte er sich das Pseudonym Richard Stark zu. Den Erstling »The Hunter« (auch als »Point Blank« oder »Payback« bekannt) gab es 1968 als »Jetzt sind wir quitt« gekürzt bei Ullstein. Erst im Februar 2015 erschien bei Zsolnay eine vollständige deutsche Übersetzung, mit einem Bild von Lee Marvin auf dem Cover. Der hatte Parker 1967 in John Boormans damals ultrahipper Verfilmung »Point Blank« verkörpert. 20 schnelle, harte Parker-Romane schrieb Richard Stark zwischen 1962 und 1974. Zwischen 1997 und 2008 folgten acht weitere. Aber sie kamen nicht an ihre Vorläufer heran. Nun aber gibt es Crissa Stone.

Alf Mayer
Wallace Stroby: Kalter Schuss ins Herz (Cold Shot to the Heart). Bielefeld: Pendragon Verlag, 2015, 352 Seiten, Klappenbroschur, 15,99 Euro.

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