Im Staatstheater Darmstadt ist auch Friedrich Hebbels »Judith« eine Besessene

Postkoitaler Abgang

Oliver Brunner, Schauspielchef in Darmstadt, serviert seinem Publikum zu Beginn der neuen Spielzeit harte Kost. Nach dem von Christoph Mehler geradlinig als pessimistisches »Oratorium für einen Despoten« (Strandgut 8/2017) inszenierten »Caligula« von Camus, hat er Alexander Nerlichs nicht minder düstere Regie zu Friedrich Hebbels Kopf-ab-Drama »Judith« auf den Spielplan gesetzt. Schwarze Zeiten.
Die Titelheldin aus dem Alten Testament hat es mit dem noch martialischeren assyrischen Schlächter Holofernes zu tun, der, wie sie selbst von Albträumen verfolgt, nach seinen Grenzen sucht – diese im Unterschied zu ihr aber finden wird. Die betörend schöne jungfräuliche Witwe wandelt nach einem Ehetrauma am Rand des Wahnsinns und wähnt sich von Gott berufen, ihr Volk vor der Vernichtung durch ein Selbstopfer zu retten. Abweichend von der Bibel, die Holofernes viel zu betrunken sieht, lässt Hebbel die Alphatiere auf Augen- und Geschlechtshöhe aufeinander los und Gefallen aneinander finden. Der furios über die weite Bühne jagende One-Night-Stand auf dem düsteren Sound-Teppich von Malte Preuß wird ein Höhepunkt der zweistündigen pausenlosen Inszenierung.
Ohnehin passiert optisch jede Menge auf der Bühne von Flurin Borg Madsen. Wie für ein Rammstein-Video hat er diese mit ölig-schwarzen Haufen aus Schrott und Leichenteilen (!) und einem Panzerwagen bestückt. Hier, im Heerlager, stellt sich uns der getriebene Assyrer mit einer En-passant-Hinrichtung vor, bevor er den Hebräern den Garaus schwört – und so sein postkoitales Ende einleitet. Judiths Zuhause im belagerten Bethulien ist dagegen ein heller kahler Holzverschlag in Grautönen, der aus dem Boden hochgefahren wird. Wenn sie sich wie ein Insekt an den Wänden klammert, ist Gregor Samsa nicht fern, wenn aus den Bretterritzen der Hütte Messer blinken und Hände greifen, Roman Polanskis »Ekel«. Wie MTV-Clips kommen auch die Alb- und Wahnträume der Protagonisten daher, als arabeske Schattenspiele oder als gruselig-groteske Puppen-Choreografie, die an den Frankfurter »Macbeth« von Dave St-Pierre erinnert.
Für die athletische Jessica Higgins, die ihre sich selbstverachtende Judith derart cool in das Liebesabenteuer schickt, dass sie nicht nur ihre Religion vergisst, sondern fast auch ihre Mission, und für Daniel Scholz als ein seine Schwäche zuletzt nur mühsam kaschierender Egomane verbindet sich mit Nerlichs ambitionierter Inszenierung ein glücklicher Einstieg ins neue Engagement in Darmstadt. Neben ihnen gefällt vor allem Anabel Möbius in der Rolle von Judiths selbstloser Magd Mirza, die ihr beim mühsamen Absäbeln des Caput mit dem Messer assistierte. Kein Clip, kein Film, sondern das zuletzt im Museum Wiesbaden gezeigte Gemälde »Judith und Holofernes« von Artemisia Gentileschi (»Caravaggios Erben«, Strandgut 11/2016) stand, wie die Frankfurter Rundschau vermutet, dafür Pate. Der Rest des männlichen mit Christian Klischat, Hubert Schlemmer und Mathias Znidarec top besetzten Ensembles hat in Mehrfachrollen weniger Chancen, sich zu profilieren. Das Kommen lohnt.

Winnie Geipert (Foto: © Robert Schittko)
Termine: 8. Dezember, 19.30 Uhr + 17. Dezember, 18.00 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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