»Geheimsache NSU« und
Frank Göhres »Stories von unterwegs«

Krimikolumne: BLUTIGE ERNTE von Alf Mayer

So fern und nah

Bücher zu verlegen, das hat für Hubert Klöpfer »auch mit Aufklärung« zu tun. Der 1991 in Tübingen gegründete Verlag gehört zur Gilde unserer besten unabhängigen Verlage. Das Verlagsprogramm versteht sich, frei nach Hannah Arendt, als Sammlung von »Büchern fürs Denken & Lesen ohne Geländer«.
Selbst mit Geländer bliebe schwindelerregend, was der vom Journalisten Andreas Förster herausgegebene Band in Sachen »Geheimsache NSU« zusammenträgt und an immer noch offenen Fragen aufwirft. Vielleicht ist es der Blick vom Baden-Württembergischen her in Richtung Berlin, Thüringen, Sachsen und andere Bundesländer, der diese »vorübergehende Bestandsaufnahme« so lesenswert macht. Zehn Autoren befassen sich in 15 Beiträgen mit der NSU, dem so genannten »nationalsozialistische Untergrund«, der kommoder Weise ja nur aus drei Leuten bestanden haben soll. Die Dreier-Terrorzelle mit den beiden Killern praktischerweise schon tot und der Hauptangeklagten schweigend, das wäre für die Geheimdienste wohl die beste Lösung – und das ist sie auch für weite Teile der offiziellen Medien. Dabei gibt die Aufklärungsarbeit der Behörden selbst Anlass für überaus kritische Fragen zu den Ermittlungen, warum sonst wird der gesamte Komplex immer noch als hochbrisante Geheim- und Verschlusssache gehandhabt?
Kein Thrillerautor würde es wagen, solche Schoten zu fabrizieren, wie sie bei der »Aufklärung« der NSU-Morde und der Verfolgung der Täter zutage treten. Ja klar, wir alle haben schon so viel über diese Morde und Pannen gelesen, »Spiegel-TV«, »stern« und »Spiegel« und Stephan Aust haben uns das alles süffig aufbereitet. Dennoch bleiben Fragen. Fragen über Fragen. Die Autoren von »Geheimsache NSU« haben sich drei Jahre mit dem Thema beschäftigt, haben die verschiedenen Untersuchungsausschüsse beobachtet sowie den laufenden Münchner Prozess, haben Hunderte von Ermittlungsakten ausgewertet, haben Zugang zu »sehr gut unterrichteten Kreisen«. Eines ist klar in dieser Sache: Die Geheimdienste mauern, was das klandestine Zeug hält. Die Nichtaufklärung der NSU-Morde lässt an einen »Tiefen Staat« denken.
»Für die Demokratie und ihre Souveräne ist es unerträglich, wenn staatspolitisch gravierende Realitäten und Wahrheiten von Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Medien weiter verschleiert oder weggeredet werden. Dann ist die Diagnose dramatisch, mit politisch fataler Konsequenz: akutes Staatsversagen«, warnt Rainer Nübel in seinem Beitrag »Dissidenz im Dienst«. Vielleicht sollte besser doch ein Geländer bei dieser Lektüre in der Nähe sein.
Und dann gibt es für den Jahresbeginn, als Gegenbewegung, noch eine ganz andere Art von Buch. Sozusagen eine Aufforderung, ins Offene zu kommen. Es sind Frank Göhres »Stories von unterwegs« mit dem Gesamttitel »Gut leben – früh sterben« aus dem Bielefelder Pendragon-Verlag. Frank Göhre ist einer unserer besten Krimiautoren, ich bin versucht zu sagen: der beste deutsche. Das ist er auf jeden Fall, unser Bester, wenn es um Lakonie & Hardboiled geht, um schnörkellosen Stil, straff wie Gitarrensaiten. Frank Göhre kann mit ein paar wenigen Sätzen eine Szene zum Schwingen bringen. Diese Meisterschaft zeigt schon der erste Text des Sammelbandes, »Hotel Marrakesch« ist er betitelt, und er zeigt uns Hubert Fichte (überhaupt Hubert Fichte bei Frank Göhre), John Dos Passos, Friedrich Glauser, Allen Ginsberg, Paul Bowles, Elias Canetti, Harvey Keitel, Alfred Hitchcock, Juan Goytisolo, William S. Burroughs, Jean Genet, Cees Noteboom und Tahar Ben Jelloun in dieser mythischen Stadt. Frank Göhre selbst ist da, in jedem Satz kann man spüren, wie gut er diesen Ort kennt und seine Aura. Dieser Text ist ein fliegender Teppich, der einen nach Afrika trägt und dahin, wo freie Geister die Aufhebung von Grenzen suchen. Krimigeschichten, Reisereportagen und Porträts wechseln sich in diesem Band. Göhres Blick gilt den Außenseitern, sezieren kann er und ganz und gar warmherzig sein. Ein Schriftsteller mit großem Herzen und offenem Blick ist hier zu lesen. Die Lektüre ist eine Reise. Das Titelbild verspricht nicht zuviel.

Frank Göhre: Gut leben – früh sterben. Stories von unterwegs.
Bielefeld: Pendragon-Verlag, 2014. 248 Seiten, 10,99 Euro.

Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur.
Tübingen: Klöpfer & Meyer, 2014. 315 Seiten, 22 Euro.

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