Gaudeamus (112)

Wenn einer beständig gegen den Strom schwimmt, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass seine Anstrengungen von Vernunft geadelt sind. Psychologen benutzen gerne das Beispiel von dem Geisterfahrer, der sich über die vielen Idioten aufregt, die ihm andauernd entgegenkommen.
Mit dem Strom zu schwimmen ist aber auch keine Lösung, denn hinter der nächsten Biegung könnten tödliche Wasserfälle lauern. Zudem ist im Strom die Gefahr des trotzigen Beharrens auf dem einmal eingeschlagenen Weg sehr hoch, etwa um dem Eingeständnis des Irrtums zu entkommen. Das gilt besonders für Führungspersönlichkeiten, die ja wegen ihres Urteilsvermögens ausgewählt wurden. Tatsächlich ist ihre Wahl längst ein Casting, in dem es um Sympathie, um die Qualität der Darstellung geht – und ob das Aussehen zur Performance passt. Das kann gut gehen wie im Falle Steinmeier, der ohne viel Aufhebens eine Niere seiner Frau gespendet hat, der aussieht wie ein Außenminister, besorgt die Stirn für uns alle runzelt und dabei beruhigende Worte murmelt, die, wenngleich völlig belanglos, den Kindern versichern, daß sich hinter der Gardine keine bösen Geister verstecken. »Die Lage in Syrien ist schwierig. Um so wichtiger ist es, nicht Nachzulassen mit unseren Bemühungen …« Wissen wir zwar alles, und dem stimmen wir auch zu. Es kann aber auch schiefgehen wie bei Westerwelle, an dessen Darbietung so gut wie alles auszusetzen war.
Solange einer so spricht, wie wir mehrheitlich denken, lassen wir ihn solange gewähren wie kein großer Unsinn passiert. Zudem hat er den Vorteil, unsere Meinungen zu bündeln, die man verstehen kann als winzig kleine Energieströme, die sich zu Macht verdichten und Umstürze provozieren können, die zunächst und womöglich auf Dauer alles schlechter machen (Arabischer Frühling). In Merkelscher Dosierung kann wenigstens regiert werden, weil sie verhindert, dass die Leute allzusehr übereinander herfallen, sie eine Art Richtung vorgibt, die uns gleichzeitig – gegen unser besseres Wissen – glauben macht (wir schaffen das), man könne die Eier haben und den Kuchen. Aber man kann nicht Millionen Flüchtlinge importieren, ohne das Sozialgefüge zu gefährden, man kann nicht das Klima retten, wenn man Atomenergie durch Kohle ersetzt. (Der ideale Mix wäre Atomstrom und erneuerbarer.) Man kann vermutlich keinen Frieden in Syrien haben ohne Assad. (Absetzen kann man ihn später.) Die Russen sind nun mal da und vielleicht weniger gefährlich als die Chinesen, die gerade versuchen, all ihre Niederlagen durch Anmaßung zu kurieren.
Außer Merkel haben wir niemanden. So warten wir gemeinsam auf das Christkind, ihre Neujahrsansprache und versuchen tapfer das Gefühl zu unterdrücken, diese Welt werde immer bekloppter. Und im nächsten Jahr werden wir uns weiter bemühen, erfundene Probleme unlösbar zu machen und wirkliche zu ignorieren.

Kurt Otterbacher

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