Freies Schauspiel Ensemble: Gilgi – eine von uns

Freies Schauspiel Ensemble: Gilgi – eine von unsLiegestützen für das Leben

In den Theatern sind die tapferen jungen Frauen der Vornazizeit en vogue. Das liegt gewiss daran, dass der weibliche Blick auf die Wirtschaftskrise und ihre gesellschaftlichen Folgen von einer tieferen Sprosse der sozialen Hierarchie der menschlichere und damit der schärfere ist. Neben den Steh-auf-Mädchen von Ödön von Horvath und dem Lämmchen Hans Falladas haben sich auf den deutschsprachigen Bühnen auch »Das kunstseidene Mädchen« und »Gilgi« von Irmgard Keun etabliert. Letzteres ist nun beim Freien Schauspiel Ensemble im Titania als Solo von Naja Marie Domsel zu sehen. Regie führt Reinhard Hinzpeter.

Dafür, dass Gilgi sich nur als Durchschnitt empfindet, begegnet sie uns doch erstaunlich selbstbewusst. Ihre Sicherheit fußt nicht auf Intellekt, Besitz oder beruflicher Qualifikation. Sie ist einfach überzeugt, dass man sich das, was einem nicht zufliegt, erarbeiten muss und kann – Gilgi hat alles im Griff. Irmgard Keuns 1932 erschienener Romanerstling erzählt wie das Weltgefüge der 20-jährigen ins Wanken gerät, nachdem sie sich in das völlig konträr lebende Sorglos-Paket Martin totverliebt. Und sich von diesem, mehr Hallodri als Bohemien, über Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft und den dramatischen Tod von Freunden hinweg mühsam befreit, ohne loszulassen.

So »bunt sprechend« wie Gilgi ihren Martin erfährt, begegnet uns Naja Marie Domsel selbst, die in einem Kraftakt alle Dialoge stemmt und auch die Freunde Olga und Pit, die Mutter, den trostlosen Hans, den Gynäkologen und Martin gibt. Anders als im Roman blickt Gilgi hier zurück: als eine erwachsen gewordene Frau mit einem bloßen Koffer als Requisit. Domsel, die zuletzt in »Atropa« beeindruckte (Strandgut 11/2012), zieht uns mit ihrem versierten Spiel über kaum merkliche anderthalb Stunden wie ein Sog in die Erzählung. Okay, es dauert ein wenig, weil sie zuerst ein veritables Fitnessprogramm mit Liegestützen und Kniebeugen absolviert, das schon beim Zuschauen in Atemnot versetzt. Je mehr sie zu sich kommt, kommt sie dann aber auch zu uns. Weniger einsichtig – und für die Augen anstrengend – ist, dass die Bühne fast durchgängig im Dunkel gehalten wird. Schließlich leuchtet diese Titania-Gilgi auch im Hellen.

Winnie Geipert
Termine:
2., 15., 29. Juni jeweils 20 Uhr

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