Nina Bußmann: Große Ferien

Der erste Roman der jungen Frankfurterin Nina Bußmann »Große Ferien«

Ein Lehrer im Garten

Sie stammt aus Frankfurt, lebt allerdings, wie die meisten Schriftsteller, die versuchen vom Schreiben zu leben, in Berlin. 2011 hat sie beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb den 3sat-Preis für einen Auszug aus ihrem Debütroman »Große Ferien« bekommen. Jetzt liegt der ganze Roman der 1980 geborenen Autorin vor. Wie Judith Schalanskys »Der Hals der Giraffe« (vgl. Strandgut 12/2011) ein Lehrerroman. In dem Maße, in dem das Sozialprestige der Lehrer abnimmt, steigt offenbar ihre Attraktion für die Literatur.

Nina BußmannEs mußte etwas Außergewöhnliches passiert sein. Denn Lehrer Schramm, dessen Vornamen wir nicht erfahren, hatte nie in seiner 30-jährigen Schulkarriere gefehlt. Doch eines Tages war er nicht mehr erschienen. Als die Rektorin am letzten Tag vor den Sommerferien anrief und wissen wollte, »wie die Dinge stünden«, da sagte er: »Ich komme nicht mehr zurück.« Wir erleben Schramm, den Eigenbrötler »keine Frau, kein Kind, nicht einmal ein Hund«, einen Tag lang in seinem Garten. Er jätet Unkraut, wobei er akribisch die Wurzeln ausreißt und dabei über sein Leben nachdenkt. Zeit hat er ja jetzt. Er versucht das, was vorgefallen war, »zu ordnen und in eine Reihenfolge zu bringen«, aber es wurde »immer nur dunkler«. Es geht, so viel ist klar, um einen Schüler: Arthur Waldschmidt, der aus Kirgisistan stammt. Er kam als Achtklässler zu ihm, und Schramm war sofort klar: »Mit dir wird es Geschichten geben«. Der Junge war zwar wißbegierig, ehrgeizig, aber auch anmaßend. Von den anderen Schülern abgelehnt, besuchte er Schramm lange Zeit in jeder Pause und oft nach dem Unterricht in dessen Kartenzimmer, das er als Mathe-, Physik- und Erdkundelehrer verwaltete. Mit dem Jungen war ein »Austausch möglich gewesen, wie er ihn sonst mit keinem hatte«. Doch plötzlich, kurz vor dem Abitur, warf dieser Arthur alles hin und verschwand. Was wirklich zwischen beiden geschehen war, bleibt im Dunkeln. Es spielt, offen gesagt, auch keine Rolle. Für Nina Bußmann ist das Verhältnis von Lehrer und Schüler nur eine Folie, auf deren Hintergrund es Schramm vielleicht gelingen kann, sich über sein bisheriges Leben klar zu werden. Schramm und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Viktor waren in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Besonders Viktor, häufig krank, kurzsichtig und unsportlich litt unter dem jähzornigen, tyrannischen Vater. Er soll ihn, den Nichtschwimmer, einmal lachend ins tiefe Wasser geworfen und nur in letzter Sekunde herausgezogen haben. Die geliebte kranke Hündin Diana hatte er kurzerhand erschossen. »Mit dem Hund losgefahren, mit der Leine zurückgekehrt.« Es sind oft diese kurzen, lapidaren Sätze, mit denen Bußmann eine ganz besondere Stimmung erzeugt. Mit wenigen Worten werden die Trostlosigkeit und das Ausgeliefertsein beschrieben. Ohne Schulabschluß und bald nach dem Unfalltod des Vaters verläßt Viktor sein Elternhaus. Später wurde er Arzt in Nicaragua, hatte wechselnde Beziehungen zu Frauen und schien sein Leben einigermaßen in den Griff bekommen zu haben. Schramm dagegen war bei der Mutter geblieben, bis sie in ein Heim gebracht werden mußte. An dem Tag, an dem wir Schramm in seinem Garten erleben und an dem er sein ganzes Leben Revue passieren läßt, will ihn sein Bruder mal wieder besuchen. Er verspätet sich, weil er in einem Stau steckengeblieben war. Schramm macht sich weiter im Garten zu schaffen. Er gräbt sich nicht nur äußerlich, sondern sozusagen auch innerlich bis zu seinen Wurzeln. Schließlich legt er sich lang hin auf den vom Unkraut befreiten Boden. Plötzlich spürt er ein Sausen im Ohr, das offenbar keine ernstere Ursache hat. Der Hund des Nachbarn nähert sich, hört aber bald schon mit dem Schnüffeln auf – »und wartete, daß der Mann wieder aufstand«.

Sigrid Lüdke-Haertel

 

Nina Bußmann: »Große Ferien«.
Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 200 S., 17,95 €

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