Ein Geschenk der Götter (ab 9.10. im Kino)

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»Ein Geschenk der Götter« von Oliver Haffner

Ein Boulevard-Stück wird im Stadttheater aufgeführt. Eine der Schauspielerinnen stockt, ihr will der Text nicht einfallen. Noch schlimmer kommt es für sie nach der Vorstellung: der scheidende Intendant teilt ihr mit, dass er ihr Engagement nicht verlängern wird. Ihr bleibt nur noch der Weg ins Job-Center.

Im örtlichen Arbeitsamt herrscht erst einmal Ratlosigkeit. Schließlich befinden wir uns in der Provinz, das heißt, es gibt kein zweites Theater in der Stadt, das für Anna, die von Katharina Marie Schubert herrlich verhuscht gespielte Schauspielerin, in Frage kommen würde. Aber Rettung naht in Form der theaterbegeisterten Sachbearbeiterin Schnallenberger (Eva Löbau, nicht weniger überzeugend), die der gerade arbeitslos Gewordenen die Leitung eines Schauspielkurses für acht Arbeitslose aufdrängt.
Doch welches Stück soll die Gruppe proben? Anna entscheidet sich für Sophokles’ »Antigone«, als ihr beim Kramen in ihren Erinnerungsstücken das entsprechende Reclamheft in die Hände fällt. Nun geht es darum, diesen Klassiker den Arbeitslosen nahezubringen. Die hatten sich allerdings auf einen Computerkurs eingestellt, der ihnen zu neuen Jobs verhelfen sollte. Prompt gibt es erst einmal Theater bei Annas teils trotzigen, teils interesselosen Schülern. Doch sie hat mindestens zwei Unterstützer in der Gruppe: den Bibliothekar Alfred (Maik Solbach) und den Griechen Dimitri (Adam Bousdoukos), der sich als Landsmann von Sophokles für besonders zuständig hält.
Das lässt sich alles sehr witzig an, ist vor allem dann vergnüglich anzuschauen, wenn die bildungsbeflissene Frau Schnallenberger Optimismus unter den Frustrierten zu verbreiten sucht. Doch als sich herausstellt, dass der besonders widerspenstige Max (Rick Okon) kaum lesen kann, wird auch dem Kinopublikum die aktuelle Tragik der Situation deutlich.
Regisseur Oliver Haffner (»Mein Leben im Off«), der auf die Idee zu diesem Film kam und das Drehbuch geschrieben hat, versteht es, Theater und »Realität« zu verbinden. So helfen die Figuren des Stücks gewissermaßen ihren Darstellern, sich ihrer eigenen Kraft bewusst zu werden (wie bei Ernst Lubitschs »To Be or Not to Be«). Der antike Klassiker ist tatsächlich ein Geschenk der Götter.
Im Gegensatz zu dem sich den »bildungsfernen« Kinobesuchern anbiedernden »Fack Ju Göhte«, wo »Romeo und Julia« auf fragwürdige Weise aktualisiert wird, respektiert Haffner den Sophokles-Text und auch die Arbeitslosen als ernst zu nehmende Menschen, die nach und nach ihre Fähigkeiten entwickeln.
Natürlich darf auch eine Liebesgeschichte nicht fehlen. Schließlich ging es Oliver Haffner um eine Sozialkomödie nach britischem Vorbild. Und daraus ist dann – man kann es kaum glauben – eine intelligente Tragikomödie aus dem schwäbischen Ulm geworden.

Claus Wecker
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EIN GESCHENK DER GÖTTER
von Oliver Haffner, D 2014, 102 Min.
mit Katharina M. Schubert, Adam Bousdoukos, Paul Faßnacht, Katharina Hauter, Rainer Furch
Tragikomödie
Start: 09.10.2014

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