Ed McBain lesen

Es begann im 87. Polizeirevier

Dies ist ein Hinweis in eigener Sache, mehr aber noch eine Empfehlung für 55 andere Bücher. Es geht um Ed McBain, dessen Todestag nun zehn Jahre zurückliegt (6. Juli 2005). Seinen Romanen vom 87. Polizeirevier ist wohl jeder Leser von Kriminalliteratur schon begegnet. In keiner deutschen Zeitung wurde sein zehnter Todestag aufgegriffen, an die 15 Jahre ist er in Deutschland nicht mehr verlegt, seine letzten sieben Bücher wurden nicht mehr übersetzt. Dabei ist er einer der wichtigsten Autoren der Kriminalliteratur – er war es, der den Polizeiroman etabliert hat. Er hat es nicht verdient, dass Gras über ihn wächst. Seine Bücher erst recht nicht. Also auf zu den Flohmärkten und Antiquariaten. Meine Sommerempfehlung lautet: Ed McBain lesen!

Frank Göhre und ich wollten es genauer wissen. Im Sommer 2014 fingen wir an, alle 55 Romane vom 87. Polizeirevier wieder zu lesen, die Sittengeschichte einer an New York angelehnten »Big Bad City«, geschrieben von 1956 bis 2005, also ziemlich genau ein halbes Jahrhundert umspannend. Herausgekommen ist dabei unser Buch »Cops in the City. Ed McBain und das 87. Polizeirevier. Ein Report«, begleitet von der eBook-Auflage für fünf McBain-Romane. Buchpremiere war Ende Juni im legendären Hamburger Jazzclub »Birdland«, wo schon Chet Baker oder Art Blakey auf den Brettern standen. Wir hatten den Schauspieler Gustav Peter Wöhler als Ed McBains Stimme zur Verstärkung auf dem Podium und das Buggy Braune Trio als Begleitung. Jazz & Crime gehen wunderbar zusammen, an diesem Abend wurde das von einem begeisterten Publikum gefeiert. Schön und schräg zum Beispiel, wie die Band unsere Kurzvorstellungen des vielköpfigen Polizeirevier-Personals jeweils musikalisch kommentierte.
Ed McBain ist lesbar, äußert lesbar, das zeigte sich an diesem Abend. Das beweisen wir mit unserem Buch, das mit vielen Zitaten arbeitet, überhaupt vielstimmig ist. Vor Elmore Leonard war Ed McBain, der Dialogfeuerwerke abbrannte, vieles an Handlung dialogisch entwickelte. Immer wieder waren Frank Göhre und ich bei der Lektüre verblüfft, wie modern, vorausschauend, unverklemmt, witzig und politisch inkorrekt Ed McBain in seinen Polizeiromanen war. Bevor die Ermordung von Präsident Kennedy jedem klar machte, was ein Scharfschütze in einer Stadt anrichten kann, deklinierte McBain das in »Neun im Fadenkreuz« (OT: Ten plus One) durch, befasste sich darin übrigens auch hellsichtig mit den seelischen Verwüstungen von Kriegsveteranen. Die Zunahme von Jugendgewalt und Jugendbanden, Mietwucher, Spekulation, das Entsorgen alter, pflegebedürftiger Menschen, das Kunst- und Musikgeschäft oder einfach nur der alltägliche Ärger mit den Taxifahrern – auf vielen Gebieten besetzte McBain früh schon das Terrain, machte daraus gute Unterhaltung ohne Zeigefinger. Durchgängiges Thema: ethnische Spannungen und Rassismus in einem Stadtgefüge. Seine allerletzte schriftstellerische Arbeit war der Kurzroman »Einfach nur Hass«; er zeigt eine Stadt, in der die Religionsvorurteile beim kleinsten Funken zu explodieren drohen, seit ein Serienmörder blaue Davidsterne auf die Windschutzscheiben ermordeter Taxifahrer sprüht, die allesamt arabischer Herkunft sind.
McBain zu lesen, das ist eine Reise durch fünf Jahrzehnte, durch die Veränderung einer Stadt und ihrer Kriminalität. Immer wieder geht es auch um die klassischen »Sieben Todsüden«: Eitelkeit, Habgier, Wollust, Rachsucht, Maßlosigkeit, Eifersucht und Ignoranz. Beinahe in jedem Buch versucht McBain etwas Neues, er hielt sich schon früh nicht mehr an die Regeln des Genres. So machen das Erfinder.
Ed McBain wurde 1926 als Salvatore Albert Lombino in New York geboren. Um seine ersten Stories besser vermarkten zu können, nahm er 1952 offiziell den Namen Evan Hunter an. Mit seinem Debütroman »Die Saat der Gewalt« und dessen Verfilmung wurde er international bekannt. Der Titelsong von Bill Haley »Rock Around The Clock« wurde zum Megahit und zur Hymne einer ganzen Generation. Alfred Hitchcock engagierte ihn als Drehbuchautor für »Die Vögel«, bei ihm lernte er, welch ein wunderbares Vehikel eine Screwball Comedy für das Geschichtenerzählen sein kann. Einige seiner Romane wurden verfilmt, am großartigsten von Akira Kurosawa. Dessen »Zwischen Himmel und Hölle« ist ein Meisterwerk des Polizeifilms. Als Steve Carella waren im Kino Donald Sutherland (bei Chabrol, in »Blutsverwandte«), Burt Reynolds (»Fuzz – Auf leisen Sohlen kommt der Tod«) und Jean-Louis Trintignant zu sehen (»Neun im Fadenkreuz«).
Mit McBain fand der Polizeiroman wirklich in die Großstadt, auf die Straße und ins große Ensemble. Solche Teams und eine solche Personenfülle wie er stemmte vor ihm keiner und seit ihm kaum ein anderer Autor. Vor und nach ihm existiert im Polizeiroman der einsame Wolf, der »große Polizist«, der oberschlaue Ermittler, der Held aus gutem Hause, der Einzelgänger aus der Hardboiled- oder Aristokraten-Schule. Oder eben das Zweierteam. Mit McBain zog ein Realismus in den Polizeiroman ein, in dem das Zufällige, Erratische und Unverständliche des menschlichen Zusammenlebens seinen Ausdruck findet. Er war der Wegbereiter, viele uns heute vertraute Autoren begannen erst lange, nachdem er 1956 die Tür aufgestoßen hatte. –Joseph Wambaugh, Nicholas Freeling, Janwillem van de Wetering, James Ellroy, Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die Polizeiromane von Charles Willeford, Derek Raymond, James Lee Burke, Jerry Oster, Thomas Adcock, Michael Connelly und viele hundert andere.
Vom Start an schärfte er die Realitätstüchtigkeit der Kriminalliteratur und legte die Latte hoch.

Alf Mayer

P.S.: Unter dem Namen Ed McBain gibt es auch 13 Romane mit dem Scheidungsanwalt Matthew Hope. Nicht dass sie schlecht wären, aber es sind keine Polizeiromane mit dem »87. Polizeirevier« und den Detektiven Steve Carella, Bert Kling, Cotton Hawes, Hal Willis, Eilleen Burke, Andy Parker, Fat Ollie oder Meyer Meyer.

Hinweis Frank Göhre:
Der Hamburger Schriftsteller und Drehbuchautor (»Abwärts«, »St. Pauli Nacht«, div. Tatorte und Großstadtreviere) ist bekannt durch seine Kiez-Trilogie. Er hat die Kriminalromane Friedrich Glausers neu herausgegeben und zwei Bücher über ihn geschrieben. Als eBooks liegen vor: »Hot Stuff«, »Du fährst nach Hamburg, ich schwör‘s dir«, »Die Härte, der Reichtum und die Weite«.
Frank Göhre/Alf Mayer: Cops in the City. Ed McBain und das 87. Polizeirevier. Ein Report. Mit einem Vorwort von Thomas Wörtche. Digitales Original. CulturBooks Longplayer, 2015. 210 Seiten. 8,99 Euro.
Ed McBain, wieder aufgelegt bei CulturBooks:
–    Der letzte Tanz. 320 Seiten. 6,99 Euro.
–    Lange dunkle Nacht. 352 Seiten. 6,99 Euro.
–    Lange nicht gesehen. 377 Seiten. 5,99 Euro.
–    Die lästige Witwe. 123 Seiten. 4,99 Euro.
–    Cops leben gefährlich. Der ersterKriminalroman aus dem 87. Polizeirevier (Cop Hater, 1956). 156 Seiten. 4,99 Euro.

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