Du, Merkel (97)

Da sieht man ihn richtig vor sich, den Baseballkappenträger, Schirm natürlich nach hinten, an seinen 3er BMW gelehnt vor der Dönerbude. Tatsächlich aber steht er mal wieder vor einer johlenden Menge in irgendeiner Halle in der Türkei, der Recep Tayyip, und spielt einen Staatspräsidenten, der von bösen Mächten verfolgt wird. Von orangefarbenen Niederländern, deren schwarz-weißen Rinderimporten nun die Ausweisung aus der Türkei drohen.
Aber insbesondere von einer Frau, der er kumpelhaft duzend Nazimethoden unterstellt und der sich nicht zu blöde ist, einen bevorstehenden Bau von Gaskammern in Europa an die Wand zu malen. Man mag sich ja kaum vorstellen, zu was für Verbalentgleisungen der oberste Schnurrbartträger noch alles fähig ist, um das Referendum im April für sich hinzubiegen. Irgendwie scheint dieses Jahr 2017 ein Jahr der Verrückt(heit)en zu sein. Die Polen stampfen in der EU wie kleine trotzige Kinder mit dem Fuß auf. Die Engländer nehmen die bei ihnen lebenden EU-Ausländer als Faustpfand, um möglichst gute Bedingungen für den Brexit rauszuschlagen. Und der große blondgefärbte Mann in Washington betätigt sich als weltpolitischer Schuldeneintreiber, der nun von Deutschland die amerikanischen Kriegsabenteuer refinanziert haben will.

Angesichts dieser großen Dinge in der Welt vergesse ich manchmal, dass es ja auch oft die kleinen Dinge im Alltag sind, über die ich trefflich meckern sollte. Da ist z.B. die derzeit überall plakatierte Drohung, dass ab dem 29. März unser Fernsehbildschirm nur noch Schneegeriesel zeigt, weil das alte terrestrische Fernsehsignal abgeschaltet wird. Das Digital Video Broadcasting – Terrestrial, ja, so heißt dieses obskure DVB-T auf deutsch, wird durch eine neue Generation der Signalverteilung ersetzt, die folgerichtig DVB-T2 heißt. Vorteile, auf die wir sehnlichst gewartet haben: schärferes Bild, noch mehr Sender und endlich mit der Möglichkeit, auch beim Antennenfernsehen per Verschlüsselung zusätzlich Geld abzudrücken. »Free«net nennt sich treffend der Anbieter, der einem das angeblich werbefinanzierte Fernsehen nun nur noch gegen Zusatzgebühr auf den Flatscreen bringt. Und eine neue Box, die das Antennensignal fürs TV-Gerät aufbereitet, ist auch noch nötig. Beruhigend, dass wenigstens die Öffentlich-Rechtlichen weiterhin kostenlos empfangen werden können – sieht man mal von der Zwangsbeglückungsgebühr ab.

Und wo ich gerade beim Banalmeckern bin: Es muss irgendeinen Grund geben, der sich mir noch nicht erschlossen hat, warum sich in öffentlichen Verkehrsmitteln ganz, ganz viele Leute vornehmlich erstmal auf die Gangsitzplätze setzen, so dass nachfolgende Fahrgäste sich mehr oder minder mühsam an ihnen vorbeidrücken müssen, um auf den freien Sitzplatz daneben zu gelangen. Vielleicht die Hoffnung, dass die meisten sich dann lieber einen anderen Platz suchen und man die Bank ganz für sich hat. Und damit das auch wirklich gut klappt, stellt man noch eine Tüte oder Tasche auf den freien Sitz. Selbst bei vollbesetzten Bahnen zur Hauptverkehrszeit ist der Erfolg dieser Sitzplatzfreihaltungsstrategie zu beobachten. Vielleicht ist das der Grund, warum in den U-Bahnen in anderen Städten dieser Welt die Sitzbänke an der Längsseite angeordnet sind. Da ist dieses Phänomen dann nicht zu beobachten.

Du, Merkel, das sind die wichtigen Fragen des Lebens, da lass dich mal von dem osmanischen Gernegroß nicht irritieren.

Jochen Vielhauer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert