Die unzufrieden Verdrossenen (61)

Und da ist er, der nächste Versuch, alle jene auf- und einzusammeln, die mit dem herrschenden System, den etablierten Parteien und überhaupt mit allem anderen auch unzufrieden sind. War dunnemals der Name »Die Linke« zwar etwas schlicht, aber allemal programmatischer und eingängiger als WASG oder PDS, so bot sie nicht nur all jenen eine Heimat, die nach der gewendeten Wiedervereinigung (oder auch wiedervereinigten Wende) am linken Rand der neuen Bundesrepublik Verödungserscheinungen erkannten. Sie zog halt auch jene an, die einfach mal ihrer Unzufriedenheit mit ihrem persönlichen und politischen Sein Ausdruck geben wollten. Da sich auch die Linke nach einigen Wahlerfolgen nicht dagegen wehren konnte, zu den Etablierten gezählt zu werden, wurden neue Unzufrieden- und Verdrossenheitsspielfelder notwendig.

Und so wanderten sie dann auch flugs weiter zu den Einäugigen, die mit schwarzer Fahne, Augenklappe und Störtebeker-Nimbus frischen Wind in die erstarrte Politlandschaft zu bringen versprachen. Doch auch das Entern des Piratenschiffs brachte nicht die ersehnte Erleichterung. Und außerdem gabs da ja immer mehr Unzufriendene bei den Christdemokraten, denen die obigen Verdrossenheitsalternativen nicht so richtig zusagten und die sich nach NSU-Skandal und NPD-Verbotsdiskussionen nicht mehr trauten, sich dem rechten Rand zu nähern.

Aber dann kamen sie, die Retter, die Alternative für links-rechts-mittig Verdrossene und somit in eigener Wahrnehmung für Deutschland. Nachdem Hartz-IV-Kritik nur einen Teil der Unzufriedenen anzog, unbeschränkter und freier Download auch nicht so richtig den Politunmut befriedigte, sahen ein paar aufrechte Deutsche angesichts griechischer und zyprischer Wutbürger ein Sammelbecken für all jene, die bar jeder politischen Ideologie oder gar Programmatik mal so richtig die Sau rauslassen wollen.

Wir, also wir richtigen Deutschen, retten mal wieder die Welt, vor allem die der südländischen Faulenzer und Schwarzgeldhändler, diesmal allerdings durch Eintauschen unserer Wunderwaffe D-Mark in die Weichmetallwährung Euro. Milliarden in die südeuropäische Luft geschossene Hilfseuro schreien förmlich nach Wiederaufrüstung mit der starken Mark, der deutschen wohlgemerkt. Und da bei dieser Alternative für Deutschland sogar Professoren dabei sind und Wirtschaftsführer wie der professionelle Talkshowgast Henkel, muss das Ganze ja seriös sein. Waren es doch die Professoren und Wirtschaftsführer, die uns die richtigen Wege aus den diversen Wirtschafts- und Bankpleiten gewiesen haben. Oder?

Klar läuft da das eine oder andere schief mit der Gemeinschaftswährung. Klar gab es Geburtsfehler und Fehlentscheidungen. Klar sind Korrekturen, wahrscheinlich sogar ganz massive notwendig. Aber bilden wir uns wirklich ein, mit europäischer Kleinstaaterei vergangener Jahrhunderte, den Traum von Europa verwirklichen zu können? Das ist das Ausweichen vor harter Arbeit, die uns und auch den nachfolgenden Generationen noch bevorsteht. Wie war das noch mit Rom, das nicht an einem Tag erbaut wurde…

 

Jochen Vielhauer

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