Die Karte meiner Träume (Start: 10.7.2014)

Die Karte meiner Träume (Start: 10.7.2014)Die Physik des Kinos

»Die Karte meiner Träume« von Jean-Pierre Jeunet

 

Es ist schon eine Weile her, da hat der Franzose Jean-Pierre Jeunet mit den phantasievollen Komödien »Delicatessen« und »Die fabelhafte Welt der Amélie« sein Publikum verzaubert. Jetzt ist er in Amerika gelandet, und siehe da, seine Umsetzung von Reif Larsens Roman (Originaltitel: »The Selected Works of T.S. Spivet«) erinnert an Tim Burton, und von dem hat er sich auch dessen Lebensgefährtin Helena Bonham Carter für die weibliche Hauptrolle ausgeborgt.

Entwarf Burton etwa in »Big Fish« (ebenfalls mit Helena Bonham Carter) das überhöhte Heldenporträt eines bewundernswerten Vaters, so erzählt Jeunet in seinem Film von einem hochbegabten Sohn und verfremdet dabei die Wirklichkeit, in der physikalische Gesetze gelten, in ähnlicher Weise wie der geistesverwandte Amerikaner.
»The Young and Prodigious T.S. Spivet«, so der Originaltitel des Films, hat ein Perpetuum mobile erfunden, das es nach den Sätzen der Thermodynamik gar nicht geben dürfte. Weil niemand das Alter des Erfinders kennt, wird T.S. Spivet für den Baird-Preis des Washingtoner Museums Smithonian vorgeschlagen und von der selbstgefälligen, am Ende als böse Vermarktungshexe agierenden Miss Jibsen (Judy Davis) nach Washington eingeladen.
Wer ist dieser T.S. Spivet? Ein zehnjähriger Junge, der mitten in der amerikanischen Provinz in einer skurrilen Familie aufwächst. Kyle Catlett, selbst wohl auch ein hochbegabtes Kind, spielt ihn so routiniert, als hätte er schon dreißig Jahre Schaupielererfahrung auf dem Buckel. Neben ihm behauptet sich Helena Bonham Carter in gewohnt hintergründiger Manier als die intellektuelle Mutter des kleinen Genies. Dr. Clair, die verschrobene Insektenforscherin, scheint als Einzige in der Familie ihren Sohn zu verstehen. Im Gegensatz dazu ist T.S.’ Vater (Callum Keith Rennie) ein bodenständiger Farmer aus vergangenen Zeiten, einer, der nicht viele Worte macht und für die Aktivitäten seines Sohns wenig Verständnis zeigt.
Bleibt noch die vierzehnjährige Gracie (Niamh Wilson), die so gerne Miss America werden möchte, und Layton, der Bruder, an dessen Tod sich T.S. schuldig fühlt. In dieser Familie passt wenig zusammen, doch das Nebeneinander gegensätzlicher Charaktere, deren mehr oder weniger friedliche Koexistenz, oft sogar Zuneigung, ist ja so etwas wie ein Markenzeichen Jeunets, der wieder einmal zusammen mit Guillaume Laurant das Drehbuch verfasst hat.
Eines Nachts, kurz vor dem Termin, an dem jener Baird-Preis an ihn verliehen werden soll, verlässt T.S. mit einem großen Koffer sein Elternhaus und macht sich per Eisenbahn auf den Weg von Monatana nach Washington. Die Fahrt wird auch zu einer Reise in die Vergangenheit, bei der bisher wohlgehütete Geheimnisse ans Licht kommen.
Diese Reise des kleinen T.S. gerät mit all ihren Verschachtelungen und erstaunlichen Stationen und Begegnungen – auch das ist ein Markenzeichen von Jeunets Kunst – zu einem poetischen Bild für das Leben. Wie liebevoll Jeunet die Illustrationen des Buches in den Film integriert, wie er bis ins kleinste Detail von der Erkundung der Welt erzählt, das ist ganz großes Kino. In seinem 3D-Film entführt er uns in ein märchenhaftes Amerika, von dem wir in der Kindheit geträumt haben.

Claus Wecker
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DIE KARTE MEINER TRÄUME (3D)
(The Young and Prodigious T.S. Spivet)
von Jean-Pierre Jeunet, F/CAN 2013, 105 Min., mit Kyle Catlett, Helena Bonham Carter, Callum Keith Rennie, Judy Davis, Niamh Wilson, Robert Maillet
nach dem Roman von Reif Larsen
Drama
Start: 10.07.2014

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