Die Internationalen Tage Ingelheim gastieren mit »Emil Nolde: Die Grotesken« im Museum Wiesbaden

Das Matterhorn grinst höhnisch

Emil Noldes Werk ist, so scheint es, sattsam bekannt. Der Expressionist ist einer der populärsten Künstler des 20. Jahrhunderts, dessen Ausstellungen den Museen regelmäßig Besucherrekorde bescheren. Millionenfach reproduziert, hat sich sein Werk eingebrannt in das kollektive Gedächtnis – ein Besuch im Nolde-Haus im nordfriesischen Seebüll, wo der Maler von 1930 bis zu seinem Tod 1956 lebte, gehört zu den beliebtesten Kunstexkursionen, die man in Deutschland machen kann.
Nolde war, auch das ist bekannt, ein glühender, sehr früher Verehrer des Nationalsozialismus. Ein Antisemit, dessen Kunst dennoch als »entartet« verfemt war. Kaum ein Künstler hat sich mit so viel Leidenschaft den Nazis als einer der ihren empfohlen, doch es half alles nichts: Seine nordischen Landschaften, seine floralen Aquarelle fielen bei den Nationalsozialisten durch.
Heute lieben ihn alle: Seine stürmischen Meerlandschaften, seine Blumenaquarelle, seine Gartenbilder, seine Südseebilder, seine vibrierenden »Farbenstürme«, welche die jüngeren Expressionisten der »Brücke« faszinierten – man freut sich an der intensiven, leuchtenden Farbigkeit, wie auch jetzt wieder: Das Museum Wiesbaden zeigt im Rahmen der Internationalen Tage Ingelheim in Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll die Ausstellung »Die Grotesken«. Dass die Ausstellung der Internationalen Tage im Jahr 2017 nicht wie gewohnt im Alten Rathaus von Nieder-Ingelheim stattfinden kann, hat einen einfachen Grund: Dieses wird umgebaut, saniert und erweitert.
Bis zum 9. Juli widmet man sich dem Phantastischen und Grotesken im Werk Noldes. Zu sehen sind unter anderem ganz frühe Bergpostkarten, in denen der Künstler die Schweizer Berge zu grotesken Physiognomien verwandelt. »Das Matterhorn lächelt« steht unter einem 1896 entstandenen Werk – doch sehen wir eher ein höhnisches Grinsen.
Diese frühen Arbeiten formulieren tatsächlich eine überraschende Gegenposition zum Bekannten. »Tolles Weib« dagegen, ein Gemälde von 1919, zeigt uns nichts als schrillen Expressionismus, der heute zum Poster taugt: Was vor fast 100 Jahren Avantgarde war, mutet heute ganz schön verstaubt an.
»Tier und Weib«, ein Aquarell aus den dreißiger Jahren, ist eine ähnlich in die Jahre gekommene Herrenphantasie – das sexuelle Miteinander einer barbusigen Rothaarigen mit einem wilden Tier. Weiter begegnen wir in der Ausstellung Bärengeistern, schlafenden Königen, Teufelchen beim »Frühmorgenflug« oder andere »Seltsame«, wie Nolde eine Arbeit von 1923 genannt hat. Nur wenig kann vollends überzeugen, wie jenes »Froschgrüne Paar«, bei der die Verwandlung von Mensch zu Tier irgendwo in der Mitte unterbrochen wurde.
Die letzte große Renaissance des Noldeschen Expressionismus gelang den Neuen Wilden in den frühen achtziger Jahren, woran man immer wieder denken muss, wenn man die Schöpfungen Noldes betrachtet. Doch die großformatigen, heftig-kräftigen, schrillen Bilder der Neuen Wilden wirken heute genauso ›old fashioned‹ wie die ihres Vorgängers Nolde. Doch wie zeigt man das Groteske, Phantastische, Beängstigende?
Francisco de Goya, Arnold Böcklin, Max Klinger, Alfred Kubin oder Hieronymus Bosch, die größten Vertreter einer packenden grotesken Malerei, gelang es – und das ist das Wesen des Grotesken – Grenzen zu überschreiten, zu sprengen. Groteske heißt Abweichung von der Norm, heißt Zügellosigkeit, heißt Gegenwelt, heißt Derbheit, bedeutet das janusköpfige Miteinander aus Grauen und Komik, das Zusammenführen von Gegensätzen, ist, wie der Schriftsteller Otto Flake geschrieben hat, »überkurbelte Realität«. Bei Nolde, das zeigt diese dennoch sehenswerte Ausstellung mit über 100 Arbeiten, die teilweise noch nie zu sehen waren – ist das Groteske eher Beiwerk, Stilmittel, nicht so sehr innere Notwendigkeit.

Marc Peschke
Bis 9. Juli: Di.–So. 10–17 Uhr; Di., Do. bis 20 Uhr
www.museum-wiesbaden.de
www.internationale-tage.de

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