»Die Geschichte der Liebe« von Radu Mihaileanu

Ein schöner Film

Eine einfache Liebesgeschichte in dunkler Zeit. Léo, polnischer Jude und angehender Schriftsteller, ist verliebt in Alma, in die, Kunststück bei solcher Schönheit, auch alle anderen jungen Männer des Schtetl verliebt sind. Vor den heranrückenden Deutschen flüchtet sie mit ihrer Familie zuerst in die Vereinigten Staaten; Léo verspricht, hart zu arbeiten, um ihr bald zu folgen.

Aber das ist nicht so einfach; nur um Verborgenen kann er Deportationen und Ermordung entgehen. Erst nach dem Krieg gelingt Léo die Überfahrt. Und als er Alma endlich gefunden hat, ist leider alles nicht so, wie er es sich erträumt hat. Und nicht einmal das Buch, das er an Alma, Kapitel für Kapitel geschickt hat, existiert in einer vollständigen Form.
Diese einfache Geschichte von der Liebe und ihrem Scheitern erzählt »Die Geschichte der Liebe“ natürlich nicht. Denn einerseits ist da der alte Léo in New York, der niemals wirklich über seine verlorene Liebe hinweg gekommen ist und sich streitsüchtige Redeschlachten mit einem Leidensgenossen liefert (ein Freund und Rivale aus alten Tagen, vielleicht), und andererseits ist da eine andere Alma, ein fünfzehnjähriges Mädchen mit bemerkenswerter Verwandtschaft zur Heldin dieses Buches, das Léo geschrieben hat, aber nicht mehr recht zusammenbringt: »Die Geschichte der Liebe«. Und außerdem gibt es Chinatown, verkorkste erste Liebesgeschichten, einen Bruder, der sich für einen Auserwählten, wenn nicht gar für den Messias hält, Krankheit und Tod sowieso, und immer einmal wieder kann man die ganze Geschichte wieder von einem anderen Standpunkt her sehen.
Vergangenheiten und Gegenwarten, literarische Konstruktionen und wirkliches Leben, kleine Menschengeschichten und große Menschheitsgeschichte, das alles kunstvoll miteinander zu verweben, hat sich die Autorin Nicole Krauss in ihrem Roman vorgenommen, und der Regisseur Radu Mihaileanu setzt es im gleichnamigen Film grandios in Bilder um. Wie wir aus dem Vogelflug gleichsam hineingesogen werden an den Ort der Handlung, das Schtetl und zu dem Baum, der als Zeuge der ewigen Liebe dienen soll, wie die verschiedenen Zeitebenen der Geschichte fließend miteinander verbunden werden (tatsächlich gibt es da eine Vorliebe für Wasser, Wellen und Regen), wie die einzelnen Figuren sich langsam aus den Fragmenten der Geschichte herausbilden, Zeit genug gibt ihnen der Film allemal, das ist bewundernswert, und nicht minder bewundernswert ist die Arbeit der Schauspieler, allen voran natürlich Gemma Arterton als Alma, Derek Jacobi als alter Léo und Sophie Nélisse als die andere Alma.
Mihaileanu, ist ein Meister in der Verknüpfung von Geschichten und Geschichte; Poesie und Trauer verbinden sich in seinen Filmen wie »Der Zug des Lebens«. Und auch Nicole Krauss, deren Arbeiten sich immer wieder mit denen von Ehemann Jonathan Safran Foer überschneiden und umgekehrt, versteht sich auf die Kunst des verwobenen Erzählens. Die Kunst, keine Grenze zum Kitsch zu ziehen, wohl aber eine im Kitsch, beherrschen sie alle drei. Es ist die Schule des ›creative writing‹ und des postmodernen Films, die sich hier einigermaßen glücklich treffen
Es ist ein sehr reicher Film. Es gibt viel zu sehen. Landschaften, Räume, Himmel und Gesichter. Sanfte, immer ungemein komponierte Bilder und Bewegungen. Und viele Ideen, einschließlich solcher, die das »richtige« Maß von Phantasie und Wirklichkeit anbelangen. Es geht in diesem Film um Literatur, und darum, wie sie mit dem Leben verbunden ist (und manchmal eben auch nicht). Die Männer müssen sich im Schreiben messen, wie anderswo im mehr oder weniger sportlichen Kampf, man erzählt sich Geschichten, um Gefühle zu vermitteln oder Entscheidungen vorzubereiten: Literatur ist die Luft, die in »Die Geschichte der Liebe« geatmet wird. Die junge Heldin erzählt Geschichten vom Vater, der Vater sucht durch Literatur den Sohn, die Mutter nähert sich den Kindern (und auch wieder nicht) durch die Übersetzung von „Die Geschichte der Liebe“ usw. Bei aller Filmkunst bleibt also ein Hauch von literarischer Über-Konstruktion, und nicht selten reden die Protagonisten so, wie man nur in Büchern redet, wenn man Handlung und Anliegen zusammen zwingen will. Dass das richtige Leben durch Literatur zugleich gewonnen werden und verloren gehen kann, das ist zugleich das Thema und das Problem dieses Films.
Mihaileanu versteht es nicht nur, die Haupt-Erzählstränge miteinander subtil zu verbinden, sondern auch in der Auflösung einzelner Szenen brilliert er immer wieder durch leichte Verschiebungen, indirektes Erzählen, Öffnung der Räume, Staffetten-Übergänge in der Handlung (vom Rand her betreten etliche Figuren die Orte der Handlung, und immer wieder kommt es darauf an, wer sich gerade von wem oder was ein Bild macht). Es gibt grandiose Schauspielkunst auch in die Nebenrollen hinein. Es gibt das komische Intermezzo im Drama, eine sehr musikalische Rhythmik, die einen beim Zusehen erfasst wie sanfte Wellen. Kurzum, es ist ein Kino, wie man es nur erwarten darf von Leuten, die ihre Kunst lieben und verstehen. Bewundernswert. Und mit seiner durchaus epischen Länge auch die Möglichkeit der Entfaltung, die menschliche Nähe zu den Figuren ermöglicht. Und genügend Platz, immer noch eine Wendung und noch eine Rückkopplung einzubauen.
Und doch ist da auch etwas, das fehlt. Eine Dringlichkeit, eine Tiefe, ein Bruch, ein Rätsel … Vielleicht ist es ja ein widersinniger Einwand: Ein Film mit diesem Thema sollte womöglich nicht so viel Wert darauf legen, als ästhetischer Genuss zu wirken. Oder anders gesagt: Ein extrem amüsantes, anrührend postmodernes Spiel um Geschichten in Geschichten in Geschichten und Bilder in Bildern in Bildern ist das, aber alles um eine Spur zu leicht (selbst die klassisch dysfunktionale Familie ist eben nur leicht dysfunktional, allzu sanft auch des alten Léo »Rache« an den Deutschen in einem Fast Food Restaurant, und vielleicht nicht ganz unproblematisch die Montage von einem Massaker der Deutschen zu einem Feuerwehr-Einsatz in New York). Sanftmut, Raffinesse und Menschennähe machen fast vergessen, welche Verbrechen diese melancholische Geschichte der Liebe in Bewegung versetzt haben.
Ein schöner Film, wirklich. Vielleicht ein bisschen zu schön.

Georg Seeßlen
DIE GESCHICHTE DER LIEBE
(The History of Love)
von Radu Mihaileanu, F/CDN/RO 2016, 135 Min.
mit Sophie Nélisse, Derek Jacobi, Gemma Arterton, Elliott Gould, Torri Higginson, Mark Rendall
nach dem Roman von Nicole Krauss
Drama
Start: 20.07.2017

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert