»Die Frau im Mond – Erinnerung an die Liebe« von Nicole Garcia

Eine Metapher für das Kino

In dieser französischen Verfilmung des Romanbestsellers von Milena Agus spielt
Oscarpreisträgerin Marion Cotillard eine allzu unberechenbare Romantikerin, die ganz schnell weg muss: entweder in die Anstalt oder unter die Haube. Das um die Ecke gedachte Melodram überrascht mit einem Twist, der manchen verstören dürfte und der doch eine Metapher für das Kino, für die Traumfabrik selbst, ist.

In den fünfziger Jahren ginge in einer Familie wohlhabender Lavendelbauern alles seinen unaufgeregten Gang, wäre da nicht Tochter Gabrielle. Das Mädchen läuft dem Dorflehrer nach, schreibt glühende Liebesbriefe, entblößt sich vor den Erntearbeitern, kurz: Gabrielle ist in ihrem sinnlichen Sturm und Drang eine Zeitbombe. Ihre Mutter stellt sie vor die Wahl, entweder in eine Anstalt eingewiesen zu werden oder zu heiraten. Mit dem Erntearbeiter José findet sich ein Bräutigam, dem Gabrielle in all ihrer Überspanntheit gefällt. Seine Aufgabe, sie zu ertragen, wird überdies mit einer erklecklichen Mitgift honoriert. Der schweigsame Mann eröffnet eine kleine Baufirma und fügt sich ansonsten Gabrielles Wünschen. Als bei ihr Nierensteine diagnostiziert werden, bringt er sie in ein Schweizer Sanatorium. Dort begegnet sie dem im Indochinakrieg versehrten Militär André (Louis Garrel). Er scheint ihr der Richtige, um ihre Sehnsucht nach alles verzehrender Liebe zu erfüllen.
Doch die Sache hat einen Haken, und nicht nur dieser wird das Publikum dieser Romanverfilmung spalten. Besonders Männer könnten angesichts Gabrielles »amour fou« mit ihrem Kurschatten das Grausen bekommen. Tatsächlich lässt sich dieser Frauencharakter nicht in die Rosamunde-Pilcher-Kitschecke schieben, denn Gabrielle hat in ihrem ungefilterten Begehren etwas Beunruhigendes und Destruktives. Was will das Weib? Es gibt keine bessere als Marion Cotillard, um diese rebellische Hysterie spürbar zu machen. Die Kamera liebt sie, egal ob sie mit ihren leicht herausquellenden, gewitterblauen Augen einen Mann fixiert oder, wie erloschen, in der Ecke kauert.
Gabrielle reiht sich in die Liste jener Heldinnen, die im falschen Leben stecken, wie Madame Bovary und Scarlett O’Hara in »Vom Winde verweht«. Bei der Suche nach etwas, das größer ist als ihre arrangierte Ehe, etwas, das die triste Buchhaltung eines vorgezeichneten Daseins sprengt, hat sie in diesen späten fünfziger Jahren allerdings mehr Spielraum – und bleibt ungestraft.
Letztlich ist der Film aber eine Ode an den romantischen Überschwang, an die Flucht, Hals über Kopf, in Traumwelten – und deshalb vielleicht eine Metapher für das Kino selbst, das zugleich tröstliches Blendwerk und heilsame Desillusion sein kann. Mit eleganten Bildern und exquisiter Ausstattung versucht Regisseurin Nicole Garcia dieses Schillern einzufangen. Mit anschaulichem Zeitkolorit kontrastiert sie das helle Licht des französischen Südens mit dem verhangenen »Zauberberg«-Ambiente der Schweizer Alpen und einem Kurhotel, das wie aus der Zeit gefallen scheint.
Ohne zuviel vom überraschenden Twist dieses Melodrams zu verraten, wirkt die schlussendliche Enthüllung angesichts der Liebeskrankheit der Hauptfigur glaubhaft. Leider kommt der mysteriöse Ehemann (Alex Brendemühl), der ebenfalls sein Päckchen an Erinnerungen zu tragen hat (und vielleicht deshalb angesichts Gabrielles Kapriolen nicht durchdreht), bei dieser One-Woman-Show zu kurz. Sehenswert ist dieses gegen den Strich gebürstete Liebesdrama dennoch.

Birgit Roschy
DIE FRAU IM MOND – ERINNERUNG AN DIE LIEBE (Mal de pierres)
von Nicole Garcia, F 2017, 116 Min.
mit Marion Cotillard, Alex Brendemühl, Louis Garrel, Brigitte Roüan, Victoire Du Bois, Aloïse Sauvage
nach dem Roman von Milena Agus
Romanze
Start: 02.03.2017

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