Der Bühnenstar und Schriftsteller Joachim Meyerhoff setzt seine Autobiographie fort

Aller Anfang ist schwer

Die ersten beiden Bände haben wir hier (Strandgut 5/2011 & Strandgut 3/2013) bereits gefeiert. Jetzt liegt der dritte Band vor. Wieder ein Glanzstück. Selten dürfte ein »Versager« so schonungslos – und zugleich so komisch – mit sich abgerechnet haben. Selbstironie, Witz, aber auch Melancholie und, sogar, Liebe – das alles zeichnet diesen Roman aus. Und: die Größe des Autors, sich so klein zu machen.
Der zwanzigjährige Joachim, durch den Unfalltod seines mittleren Bruders und der drohenden Trennung der Eltern »total aus der Bahn geworfen«, bewirbt sich gleichzeitig als Zivi in einem Kinderkrankenhaus und an der berühmten Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München. Er wird bei beiden angenommen, entscheidet sich aber für »das genaue Gegenteil von dem, was in Betracht kam«: die Schauspielerei, für die er sich völlig ungeeignet hielt. In Nymphenburg  bewohnen seine Großeltern, sie ehemalige Schauspielerin, er emeritierter Philosophieprofessor, eine großbürgerliche Villa. Bei ihnen kann er während der dreijährigen Ausbildung wohnen. Die Großmutter, immer bestens gekleidet, immer noch gut aussehend, aber voller Marotten, liebt die Theatralik, »die große Geste«. Der Ich-Erzähler ist der »Lieberling« und überraschte Ausrufe werden immer mit »Moooahhhh« und »Herrschaftszeiten« begleitet. Der Tag ist genau durch den Alkoholkonsum eingeteilt. Gleich nach dem Aufstehen wird ausgiebig gegurgelt, die Gurgellösung, hochprozentiger Enzian, wird jedoch heruntergeschluckt. Punkt 9 Uhr, vor dem Frühstück, gibt es ein Glas Champagner, danach ein zweites. Pünktlich um 1 Uhr, zum Mittagessen, Weißwein. Nach dem Mittagsschlaf Tee mit einem ordentlichen Schuss Rum, um 6 Uhr zwei bis drei Whiskey mit Wasser, zum Abendessen Rotwein, als Betthupferl Cointreau. Oft erreicht  der total betrunkene Joachim sein Zimmer im ersten Stock nur mit dem Treppenlift. Dass er die Aufnahmeprüfung schafft, verdankt er allein seinem Enthusiasmus. Seine erste Aufgabe ist, ein Nilpferd darzustellen und dabei einen Text aus »Effi Briest« vorzutragen.  »Aber nichts, was da kauerte, hatte auch nur im Entferntesten etwas mit einem Nilpferd zu tun. Ich war ein befremdlicher Anblick: einem großen, dünnen Mann schien es außerordentlich schlecht zu gehen.« »Es fühlte sich so an, als hätte ich das Nilpferd nicht gespielt, sondern als wäre es mir auf den Kopf gefallen.« Für Meyerhoff ist die Ausbildung eine einzige Katastrophe. Man soll lernen, »sich zu offenbaren und zeigen.« Er selbst will genau das Gegenteil, »sich verhüllen, verstecken.« »Ich wollte Theaterspielen, aber nicht dabei sein… Ich wollte verwegen aussehen, sah aber belämmert aus. Ich wollte herzlich lachen, klang aber so, als würde ich abgestochen.« Einmal allerdings hat der Ich-Erzähler auch seinen großen Auftritt. Bei einer Versteigerung von Kleidungsstücken tritt er in einem langen Paillettenkleid auf, und als er sich dreht, gleicht er einer lebendigen Discokugel, die das Publikum jubeln lässt. Die zwei Leben, die Joachim während der drei Jahre führt, könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier die Großeltern, deren Leben durch Gleichmaß bestimmt ist, nichts wird je im Haus verändert, hier ist er geborgen und der geliebte Enkel. An seinem Desaster nehmen sie heftig Anteil und versuchen stets, ihn zu trösten.  An der Schule dagegen wird ihm tagtäglich seine Unfähigkeit vor Augen geführt. Meyerhoff beschreibt die Katastrophen seines Lebens wie der Übertreibungsvirtuose Thomas Bernhard, aberwitzig, skurril und oft so komisch, dass einem beim Lachen die Tränen kommen. Inzwischen ist der komische Versager zum großen Star geworden (Wiener Burgtheater, Deutsches Schauspielhaus Hamburg). Jetzt hat er gut Lachen, auch über sich selbst.

Sigrid Lüdke-Haertel
Joachim Meyerhoff: »Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke«, Roman, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2015, 348 S., 21,99 Euro

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