»Den Menschen so fern« ab 9.7.2015 im Kino!

Den Menschen so fernCamus entkernt

»Den Menschen so fern« von David Oelhoffen

In Albert Camus’ Roman »Der Fremde« erschießt ein Franzose einen Araber, den er gar nicht kennt. Das galt dem Literatur-Nobelpreisträger als Symbol des »Absurden«, der Sinnlosigkeit menschlichen Daseins. In seiner Kurzgeschichte »Der Gast« beschreibt der Autor wieder eine schicksalhafte Begegnung zwischen einem Franzosen und einem Araber. Der französische Regisseur David Oelhoffen formuliert jedoch mit seiner ambitionierten Adaption dieses Stoffes eine interessante Antithese zu Camus’ existenzialistischer Haltung.

Im Stil eines Westerns erzählt Oelhoffen in seinem zweiten Spielfilm vom schwierigen Zusammentreffen zweier Männer aus verfeindeten Kulturkreisen, die sich in einer steinigen Wüstenlandschaft allmählich aufeinander zubewegen.
Der Franzose Daru, beeindruckend dargestellt von Viggo Mortensen, ist ein Ex-Soldat, der in der Einsamkeit des Atlasgebirges, wo er als Pied-noir geboren wurde, einheimische Kinder unterrichtet. Im Auftrag eines Gendarmen soll er 1954 in den Wirren des sich anbahnenden Algerienkriegs einen Araber, der seinen Cousin ermordete, zur nächsten Polizeistation überführen, wo auf ihn das Todesurteil wartet. Ein Job, auf den Daru gerne verzichtet hätte. Die Hoffnung, dass sein Gefangener türmt, erfüllt sich nicht. Der Araber scheint eine Memme zu sein, ein Lamm, das sich widerspruchslos zur Schlachtbank führen lässt. Durch ihn gerät der Lehrer auch noch in die Gewalt von algerischen Rebellen und französischen Milizen. Und er muss für seinen ängstlichen Schutzbefohlenen sogar töten.
Im Gegensatz zu Camus’ Vorlage gibt Oelhoffen dem anonymen Araber einen Namen. Und vor allem eine bewegende Geschichte: Wie Daru erst allmählich und in sparsamen Dialogen erfährt, hat Mohammed (Reda Kateb) den Mord an dem betrügerischen Cousin und seine anschließende Verurteilung zum Tode genau geplant. Sein Motiv ist jedoch keineswegs »absurd«. Als ältester Sohn entbindet er durch sein Opfer die jüngeren Brüder von der heiligen Pflicht der Blutrache, ermöglicht ihnen so ein Leben ohne Schuld. Daru kommt ins Staunen. Die Ehrfurcht gegenüber der inneren Größe seines Gefangenen spiegelt sich in beeindruckenden Landschaftspanoramen mit kargen, steinigen Bergrücken und verlassenen Häusern.
Mit seiner Interpretation führt Oelhoffen die von Camus behauptete Ausweglosigkeit des »Absurden« sublim ad absurdum. Sein leise inszenierter Algerienwestern schlägt dabei eine Brücke zwischen den Kulturen, ohne dass es menschelt. Wie in der literarischen Vorlage steht Mohammed am Ende vor der Wahl: Verurteilung zum Tod oder Freiheit. Dass Daru seinem Schutzbefohlenen zu einem Ausweg aus schicksalhafter Verstrickung verhilft, kann man als gefühlte Wiedergutmachung für jene Menschenrechtsverletzungen während des Algerienkriegs ansehen, die der Film nebenbei anprangert – und mit deren Eingeständnis die Franzosen sich bis heute schwertun. Der von Guillaume Deffontaines glänzend fotografierte Film kommt aber auch ohne diese politische Deutung aus.

Manfred Riepe
DEN MENSCHEN SO FERN
von David Oelhoffen, F 2014, 102 Min.
mit Viggo Mortensen, Reda Kateb, Jérémie Vigot, Angela Molina
Drama
Start: 09.07.2015

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