Das Staatstheater Mainz zeigt »Nathan der Weise«

Wer wird denn gleich religiös werden?

Wie aufgewühlt, mit wurfgroßen Pflastersteinen übersät, breitet sich die dunkle, kahle Bühne des Mainzer Staatstheaters aus. Ein assoziationsreiches Bild, das Jerusalem in den Zeiten der Kreuzzüge (12. Jahrhundert) vorstellen soll, das dreifach heilige Zentrum der Juden, Christen und Muslime, in dem Gotthold Ephraim Lessings »Nathan, der Weise« spielt. Wir denken an Intifada und Stolpersteine in jedem Sinn: kein fester Stand, kein sicherer Schritt für die Suche nach der besten aller Religionen
Mit dem Glaubenskrieg in Nahost und den ideologischen Schlachten im Hinterland hat die 1778 publizierte Pflichtlektüre von Generationen gelangweilter Oberschüler wie von selbst wieder Brisanz – und kehrt in breiter Phalanx auf die Spielpläne zurück. K. D. Schmidt hat eine zeitlose Inszenierung gewählt, die weder in Kulissen und Kostümen historisiert, noch der Versuchung erliegt, aktuelle Bezüge zu konstruieren – derer es genügend gäbe. Die Darsteller sind zeitgenössisch, doch vor allem rollengemäß stilisiert gekleidet.
In Mainz kommt der jüdische Händler im gediegenen Anzug mit Weste, Hut und glänzendem Schuhwerk, wie von Wormland gesponsert, von der Geschäftsreise zurück. Der charismatische Hamburger Postmigrant Murat Yeginer spielt Nathan und wirkt mit seinem dahin gesungenen Blubberton bisweilen wie der schmächtige kleine Bruder von Götz George. Der leicht konfuse Mann braucht Zeit, bis er kapiert, dass man ihm kürzlich das Haus angesteckt hat und seine Ziehtochter Recha nur knapp dem Tod entrann. Dann aber ist er ganz Herz. Rechas entflammte Liebe zum christlichen Retter, dem Tempelherrn, wird das eine der zwei Probleme, die Nathan über alle Akte des »dramatischen Gedichts« beschäftigen. Das andere: den klammen Sultan Saladin mit Geld bei Laune zu halten und mit guten Worten (Ringparabel) von der Idee des Humanismus zu überzeugen. Wer wird denn gleich religiös werden?
Lilith Häßle kehrt als Recha im roten Mohair-Überzieher mit superlangen Ärmeln das H&M-Girlie hervor, das todverliebt vom Märchenprinzen schwärmt. Verblüffend, wie geläufig heutig Nathan ihr im O-Ton Lessing die Flausen austreibt, einen göttlichen Engel erlebt zu haben. Dieser aber, der Tempelherr, kann sich Gefühle zum »Judenmädchen«, für das er sie hält, noch nicht eingestehen. Rüdiger Hauffe schreitet mit akkurat gescheiteltem Kurzhaar so zackig im Lodenmantel, als setze er seine Rolle als SA-Mann in »Kopflohn« bruchlos fort. Aber er ist der einzige, der einen Bewusstseinssprung vollzieht und sich wandelt. Dem recht jovialen Saladin von Martin Hermann dagegen nehmen wir die grausame Herrscherdenke des Massenschlächters nicht wirklich ab.
Anna Steffens Amme Daja überzeugt als christliche Eifererin. Die gute Leoni Schulz macht Sittah zur Stimme der Vernunft. Rettungslos fies kommt einzig Armin Dillenbergers Patriarch daher. Von einem Podest im Saal her schmettert er im weißen Kittel jeden Einwand für den Erzieher des Christenkinds nieder: »Tut nichts. Der Jude wird verbrannt«. Sein feuchter Mund erscheint dabei widerlich groß projiziert auf der Bühnenwand.
Das arg konstruierte Happy-end des Drei-Religionen-Konflikts, das alle zu Family & Frieds deklariert, wird zwar auch in Mainz nicht plausibler. Sonst aber: sehr gelungen, das Ganze.

Winnie Geipert (Foto: © Bettina Müller) 
Termine: 26., 29. Januar, 19.30 Uhr
www.staatstheater-mainz.de

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